Kairos (German Edition)
unscharf, ehe sie in den Status unlesbarer Fehlzeichen fiel. Das Netzhautsystem war ausgefallen. Die Motorik seines Exoskelettes entspannte sich, was auf Generalfehlfunktion hinwies; die Maschine stellte bald den Kampf ein.
Riviera legte seine Waffe ab, gelähmt von Agonie und dem Wissen, daß er sterben würde, und wachträumte erneut. Hörte Seelengesänge. Er hielt die Augen geöffnet, dennoch träumte er von seinem ganz eigenen gelobten Land, einem Neubeginn an dessen endlosen grünen Küsten.
Geschöpfe, die im Sonnenlicht springen. Blumen. Der Duft von Blumen, grünen Blättern und Kardamom; Wasser und Himmel.
Dann, heiliger Jesus
fucking
Christus, dieses unglaubliche Blau
.
Er kam langsam zu sich. Befehlsketten waren zusammengebrochen. Das Einsatz-Kom übergoß ihn mit Schreien, diese schwächer werdend, bis Riviera ein vielfaches Stöhnen hörte, das auch endete. Er sah wieder seine Wirklichkeit und über sich, mit erhobener Klinge, den Skull. Ein Drache kam herangesprungen, kroch geifernd und witternd vor Rivieras Gesicht. Der verzog keine Miene. Der Drache wurde unruhig. Sein gewundener Wirbelkamm auf dem wie ausgemergelt wirkenden Rücken stellte sich auf. Er knurrte leise und irritiert, wie ein Hund, der nicht gestört werden will, und bleckte die Zähne, schrie wie das Quietschen von Kreide auf Schiefer. Rivieras rechter Arm kam zum Vorschein. Der Drache glotzte auf das Ding unter ihm. Sein Schädel hob sich samt dem Handwaffenlauf. Riviera gab einen Schuß ab. Der Kreatur platzte der kurze Hals weg. Blutige Wirbelkörper flogen davon.Der Rostschädel blieb stehen. Drei grüne Augen inspizierten den toten Drachen. Dann sah er zu Riviera. Riviera glaubte, Verblüffung hinter den drei Augen zu sehen, wußte aber, daß es Einbildung war. Er wußte auch, er konnte nichts tun. Mit seiner Glock würde er den Schutzschirm des Skulls nicht mal ritzen können. Er legte die Waffe weg und breitete die Arme aus. „Warte. Scheißkerl.“ Die Worte kamen mühsam. Der Skull legte den Kopf schief. „Eine Frage, Arschloch.“ Er war müde. Seine Stimme klang seltsam. „Warum macht ihr das? Ihr fliegt den ganzen Weg von eurem verschissenen Stern hierher, nur, um uns zu massakrieren?“ Heiser, ungläubig: „Wieso tut ihr das?“
Die Schwertwaffe des Skulls
floß
vom Himmel. So schnell. Jedenfalls schien es Riviera so; bis sie ihn traf. Schwarze Hydrauliklösung spritzte, als die Klinge die Halsmanschette brach. Sie traf Haut, Sehnen und Fleisch. Sicherheitsventile stoppten das Auslaufen der hydraulischen Flüssigkeit. Die Blutung nicht.
Wenigstens neigen diese Kerls und ihre Schoßtiere nicht zu Sadismus
, dachte Riviera eigentümlich unbeschwert, als durch die Benommenheit neuer Schmerz stach. Dann schwebte er. Das Schweben vertiefte sich. Er schlief.
Falsch
, dachte er mit wachsendem Gleichmut,
ich sterbe
.
So kam es; Jurrien Riviera verging in flackernden Gedanken.
33
Der Bunkerkomplex unter Brüssel erstreckte sich über fünfzehntausend Quadratmeter. Es war eine Kleinstadt mit Wohn-, Schlaf- und Lagerräumen, sanitären Einrichtungen samt chemischen Toiletten, einer Cafeteria, Kantine und Krankenstation mit mehreren Operationssälen, vierzig Intensivbetten und einer Zahnarztpraxis. Zudem fanden sich Anlagen zur Luft- und Wasseraufbereitung sowie Abwasserbeseitigung, ein Kraftwerk, ein Tribunal, ein Sportzentrum, eine Kapelle sowie ein Arrest- und Inhaftierungstrakt.
Neben dem Lageinformationszentrum, dem operativen Herz der Anlage, befand sich ein Konferenzraum für die Krisenregierung und den Sicherheitsrat samt Apparat aus Hilfskräften und Referenten. Das Gefechtszentrum maß zehn Meter im Quadrat. Es hieß auch ›Adlerhorst‹ und war ein von Schaltpulten und Monitorwänden beherrschter Ort, dessen Wände, Decke und Fußbodenschwarz waren, um Projektionen besser sichtbar zu machen. Im Zentrum des Horstes lag die Datengrube, in der die Gefechtstaktikoffiziere mit Sensormasken saßen und an deren Rand ein Mann in Zivil stand – Rufus Bals.
Generalstabchef Air Marshall Paul Blaskowitz, in der blütenweißen Uniform der Vereinigten Europäischen Luftwaffe saß auf einem erhöhten Drehstuhl an einem von polarisierten Glaswänden umgebenen Instrumentarium aus Kontrollpult, Bildschirmen und Holografiken, die sich über Projektions-Platten kräuselten. Er koordinierte noch immer die strategische Ausrichtung der verschiedenen Gefechtsoperationen. Frauen und Männer des SVI-Schlachtenmanagements
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