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Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gallo
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unterstützen ihn.
    Alle schoben Dienst nach Vorschrift, gingen mechanisch ihren Tätigkeiten nach, mental aber war man erstarrt. Niemand äußerte etwas laut, nur ein paar Uniformierte standen leise redend beisammen. Irgend jemand, eine Frau mit honigblondem Pferdeschwanz, weinte. Keiner war auf Derartiges vorbereitet gewesen, auf ein so rasches, hunderttausendfaches Sterben, das eine Kartenprojektion des europäischen Schauplatzes, über die Blitzmeldungen über Fronteinbrüche und Verluste jagten, visualisierte. Das Ganze war eine alptraumhafte Unwirklichkeit, ein umfassender Schlag. Die Welt stand in Flammen; der Kollaps kam.
    Rufus Bals’ Verstand mühte sich um Balance. Seine Gedanken rasten, zugleich empfand er, als wäre kein Boden unter ihm. Innerer Aufruhr, während er äußerlich in Schreckensstarre fiel. Sein Gesicht war fahl; er wirkte uralt. Er fühlte sich, als würde er das Bewußtsein verlieren. Der umnachtungsartige Zustand eines Wahntraums. Die Zeit schien zu kriechen, dann still zu stehen.
    Seine Frau war tot.
    Er zapfte Ressourcen an. Brauchte einen Anker, einen roten Faden, der ihn leitete.
    Pris ist tot.
    Nur Extreme. Nichts Konkretes. Taubheit bis hin zum Scheintod.
    Erschlagen von einem Balken.
    Bals hörte, sah nichts; nur nach Innen; dort einen Strom aus Blut, der alles mitriß.
    Zuhaus.
    Bals mußte die Eindrücke sichten. Das Gefechtszentrum war nicht Teil seiner Welt.
    Dabei sollte es das sein. Geräusche. Piepen, Statikrauschen. Schritte auf dem Linoleum. Leise Gespräche. Meldungen. FernesSchluchzen. Ein Zischen, als die Eingangsschleuse sich öffnete und wieder schloß.
    Er schnappte Funksprüche der Piloten auf, die noch am Himmel waren und versuchten, etwas zu tun.
    „... spricht der Bandleader. Schießt auf den Dorn, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet. Oberstes Ziel ist es, euch selbst zu schützen und eure Maschinen zu erhalten...“ – „...
Jabs
, Sie übernehmen die Spitze...“ – „... Formation aufreißen...“ – „... Nehmt denen den Schwung, ehe sie zu uns kommen, dann die
Cherrug
-Staffel...“ – „... zurückbleiben. Jedes Paar schützt einen Bomber...“ –
    „...
Jab
-Anführer, verstanden...“ – „... Führer
Cherrug
, zu Befehl...“ – „... Hier
Flyboy
-Lead, danke.“
    Die Piloten würden bald nicht mehr am Leben sein – wenn sie nicht abdrehten und flohen, was nicht geschehen würde, weil Befehlsverweigerung, der Ruch der Feigheit, nicht ihre Sache war.
    Bals war angesichts dieser Opferbereitschaft ergriffen. Oder war er es, weil die Piloten so dumm waren?
    „Ein Angriff hält sich nicht immer an strikte Parameter. Es gibt immer ein Überraschungselement...“
    Das kam von Blaskowitz; Bals hörte ihn durch das Dröhnen in seinem Schädel, das sein rauschender Puls schuf. Er sann über Blaskowitz’ Worte nach.
...Strikte Parameter ... Überraschungselement...
    Ihre Armeen waren in Klump gehauen, die Menschheit stand im Begriff, von einer unerwarteten Katastrophe ausgelöscht zu werden, und dieser Deutsche drosch militärische Phrasen. Ein Kontinent stand in Flammen, Hunderttausende waren tot –
Pris
–, Millionen auf der Flucht, und Blaskowitz versuchte es analytisch zu erfassen. Was passiert war und weiter passierte, konnte man nicht erklären. Nur erdulden, aushalten. Erleiden.
    Nein.
Etwas mußte getan werden. Die Shumgona waren da. Bals sah es vor sich: Landeflotten kamen herunter wie Meteoriten. Sie jagten in lohenden Bändern von Hunderten Kilometern Länge durch den Himmel, schwarze Rauchsäulen nachziehend. Dunkle Schwärme aus Jagdfliegern folgten ihnen.
    Die Shumgona waren gelandet, hatten die Erdstreitkräfte vernichtend geschlagen. Ihre Präsenz auf dem Erdball wuchs wie eine Epidemie. Bald würden sie hier sein – bald schon würden sie überall sein, um ihnen den Garaus zu machen. Soweit die Fakten.
    Die Frage war, wie es weiterging.
    Eine Zeit des ruhelosen Treibens verstrich.
    Die Holoschirme in Bals‘ Sichtfeld zeigten Landkarten, ozeanographische Pläne des Mittelmeers, der Nord- und Ostsee sowie Detailmappen der wichtigsten Städte und Häfen der Union. Über einen Wandschirm floß ein steter Strom aktualisierter Wetterdaten des Mittelmeerraums aus europaweiten Quellen. Paul Blaskowitz stand vor der Projektion einer Satellitenaufnahme Südeuropas. Griechenland war wolkenlos, die Ägäis nicht. Malta und das Ionische Meer wurden von Stürmen heimgesucht. Bals wußte, Blaskowitz’ Generalstab nutzte die Daten

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