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Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gallo
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dieser Menschen. Alle folgten – vielleicht der stummen Weisung ihrer inneren Stimme oder von woanders; etwas führte sie, leitete an, was jetzt richtig wäre.
    (Sieh hinauf, du mußt hinaufsehen.)
    Nazma spürte es bei sich selbst: ein Über-Ich, das die Führung übernahm. Sie kannte so etwas nicht. Bisher war ihre innere Stimme ein schizoider Beirat gewesen.
    Sie sah auf und registrierte vorn die Kuppel der Sporthalle aufragen. Dorthin wollte sie.
Ich muß Schutz suchen
, dachte sie immer wieder in dem Maß, wie ihr Denken sich klärte.
Vor dem Sturm. Davor, was uns allen an diesem Ort bald blüht.
    (Noch weiter hinauf.
Hinauf
.)
    Wieder die Stimme. Seltsam. Endlos vertraut. Alles in einem.
    Sie sah weiter hinauf, sah zunächst nichts, sondern spürte seine Gegenwart: ein Flackern am Himmel. Über den Gebäuden und fernen Hügeln schien etwas durch die Wolkenfront, eine Leuchtspur, die auch am Tag gut zu sehen war.
Was ist das?
Keine Antwort, auch nicht von der Stimme. Während sie hinsah, schwand der Effekt. Er hatte sich lautlos ereignet, verbunden mit einem anormalen, steigenden Druck.
    Nazma wußte, was das bedeutete. Sie konnte nicht sagen, was genau sich gleich abspielen würde, aber daß es etwas mit der Invasion und den Abwehrkämpfen zu tun hätte, und darum auch, daß es ungemütlich werden würde.
    Es war ihr nicht möglich, loszulaufen. Sie schaute weiter hoch. Dann stellte sich der Lärm ein – krachendes Bersten; extreme Verdrängung extremer Luftmassen. Was Nazma dann erblickte, ließ sie erst stutzen, dann zusammenfahren: eine orangefarbene Fackel von beeindruckender Komplexität.
Ein Dornenschiff.
Es brach aus den Wolken, umschwirrt von einem Pulk aus Jagdflugzeugen, für Nazma so groß wie Schmeißfliegen. Aus einer anderen Richtung rasten die stecknadelkopfgroßen, funkelnden Lichter weiterer Kampfjäger heran, mehrere Staffeln, deren Kurs sie in einer Zangenbewegung zum Dorn führte.
    Das Raumschiff generierte pausenlos Lichtblitze oder –kugeln – genau sah Nazma das nicht –, hell wie eine Bogenschweißflamme. Es zog seine Bahn über den Himmel, im Verlauf verlor es weiter an Höhe, und geriet rasch außer Sicht.
    Nazma stöhnte aus Ehrfurcht. Den Tod vor Augen, blieb sie benommen stehen. In Erwartung des Aufpralles oder eines weiteren, sehr viel nährenden Lichtes zuckte sie zurück wie ein Kind.
    Weder der Aufschlag, noch die Explosion kam.
    Es stürzt nicht ab. Es landet. Dieses Ding wird jeden Moment irgendwo landen. Nichts wird es aufhalten. Wie im Holo-TV. Und dann...
    (Lauf los.)
    Wohin?
    (Du weißt, wohin.)
    Dieser Horrortrip ging weiter. Edinburgh wurde angegriffen. Abwehrfeuer erschien, lange Perlenketten stark beschleunigter Sprengkörper, die dem Dorn entgegenfauchten und detonierten, wann es ihre Annährungszünder befahlen. Weiter weg regnete es Feuer. Sirenen heulten – unglaublicher, orgiastischer Lärm, der sich einem in den Leib bohrte. War das herrschende Chaos vorher schon immens, brach jetzt die Hölle los.
    (Flüchte, hau ab, entfliehe, lauf davon, kratz die Kurve, Nazma, schweb davon.)
    Ich kann nicht.
    (Lauf!)
    Töte mich. Bitte.
    (Los!)
    Jetzt gönnte sich Nazma keinen Aufschub; sie lief, als wäre der Teufel hinter ihr her. Nicht nach haus. Nicht in die Aula oder ins Auditorium Maximum. Nein; zum Coliseum. Weil es richtig schien.

37
    Corey blutete am Kopf. Er taumelte durch ein wahrgewordenes Schauermärchen von Poe, Lovecraft oder diesem Bierce. Er verstand gar nichts. Sein Verstand prallte am Erlebten ab. Corey war, als hätte er eine heimliche Linie passiert, die Faßbares vom Unfaßbaren trennt. Jählings galten andere Regeln, eine andere Sicht auf die Realität. Dies hier konnte nicht echt sein, niemals, ausgeschlossen. Alles war völlig aus den Fugen geraten. Corey glaubte sich in eine andere Welt versetzt; alles um ihn her schien erschreckend unwirklich.
    Unwirklich. Nicht echt...
    Die Ausflucht, alles fußte auf Einbildung, war endlos erstrebenswert, aber sinnlos. Daß alles echt war, hatte er schmerzhaft am eigenen Leib gespürt, als in der Nähe ein gestarteter Kampfjet auf den narbigen Stahlbetonbelag des Rollfeldes krachte. Die Explosionswelle erreichte Corey und holte ihn von den Beinen. Als es ihn auf den Boden warf, spürte er über seinem linken Becken etwas zweigartig brechen. Dies war der heikle Punkt. Würde er liegenbleiben, wäre er im Handumdrehen tot...
    Der Tag hatte schlecht begonnen. Es sollte sein letzter in Lyon sein, das immerhin

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