Kairos (German Edition)
stand fest, und Corey begrüßte es erleichtert. Er wollte weg; jetzt war endlich die Zeit.
Sein Flugzeug sollte mittags starten und Glasgow eine Stunde später erreicht haben. Corey würde den entsprechenden Shuttlebus abpassen, sich in die hinterste Reihe verkriechen, trübsinnige Musik auf sein Pad spielen und die Strecke vorbei an dem Militärflughafen, den Pilotenkasernen und dem alten Senkrechtstarter auf dem Granitsockel fahren. Diesmal würde keine Kaolin Kaldma neben ihm sitzen und ihm Zoten ins Ohr säuseln. Er würde mit sich allein sein, wenn die Fahnen auf den sanften Hügeln vor der Luftfahrtfachschule hinter ihm kleiner werden und verschwinden würden. Letztlich wäre auch der kubistische Gebäudekomplex außer Sicht. Er würde die klimatisierte Linienmaschine betreten und mit ihr abheben. Es würde rasch und unkompliziert gehen, der Flughafen mit den riesigen Montagehallen, die Stadt mitsamt der Basilika rasch seiner Sicht entschwinden. Er würde Frankreich verlassen und hoffentlich nie wiedersehen. Erst dann würde er Aufatmen. Und sich für alles hassen.
Soweit sein Plan.
Passables Wetter an diesem Morgen, der Himmel nicht wolkenlos, aber mit dem Versprechen auf einen heißen Tag. Corey war auf dem Weg zum Sammelpunkt für die OmniShuttle, die den Pendelverkehr zwischen der Akademie und dem Zivilflughafen regelten. Er hatte alle Zeit der Welt, war eine Stunde zu früh, also ging er zu Fuß. Er trug seinen Lumberjack über dem Arm und seinen alten Militärseesack auf der Schulter. Er ging über den Exerzierplatz, entlang der schmalen Passierwege und breiten Zufahrtsstraßen, bis er das Flughafenempfangsgebäude sah. Er ließ sich durch den Kopf gehen, wie Nazma über sein Scheitern denken mochte, darüber, daß er es nicht geschafft hatte, weil er schlicht zu dämlich gewesen war. Er konnte niemandem irgendwelche Vorhaltungen machen. Er allein trug Schuld daran, aus dem Lehrgang geflogen zu sein. Niemand sonst...
Aber zurück zu Nazma wollte er nicht. Er wollte auch nicht nach Edinburgh, nicht mal nach Schottland. Er wollte fort von Lyon, von Frankreich, aber nach Hause wollte er auch nicht. Aber wo sollte er hin? Er wußte es nicht. Ein seltsames Gefühl, wie er feststellte. Aber nicht zwingend schlecht.
Scheinbar ungerichtet wanderten seine Gedanken zu jenem Tag zurück, als seine Welt noch in Ordnung gewesen war, und er, die Finger in den Drahtzaun gekrallt, diese absonderlichen Empfindungen dabei gespürt hatte, diese Montagehalle – BAU 17 – zu betrachten.
Der Ruf, der ihn ereilte ... Empfangen von Dynamik, berauschend ... Ein Weisen, dem er folgen mußte...
Das Gefühl von Abschied. Von Fremdheit und ... Ferne.
In diesem Augenblick erfolgte die erste Explosion. Es war die erste einer ganzen Reihe. Zuerst gewaltiger Lärm, dann eine heiße Woge, die Corey umriß, als hätte ihn ein Fünfzig-Pfund-Sack Weizenmehl getroffen. Ein Schauer brennenden Flugbenzins prasselte über ihn. Seine Arme schützten instinktiv den Kopf.
Der Lärm verging, die Hitze blieb. Einen Blick aus halbgeöffneten Augen wagend, sah er alles um sich her in gelben, zuckenden Schein getaucht, durch den Menschen stolperten und Fahrzeuge rasten. Überall Rauch. Überall Konfusion. Ein umherwirbelndes Hartgummiteil hatte ihn getroffen; aus einer Kopfwunde troff fingerdick Blut. Langsam blickte er sich um. „Nein“, flüsterte er. „Was zum...“
Was er sah, war unmöglich. Nicht einmal Deimos’ Auftauchen hatte als Vorspiel für ... so etwas hergehalten. Dies überstieg alles, ein einziger Angsttraum, schlimmer als alles, was er sich ausgemalt hatte.
Vom Himmel fiel ein Objekt. Es war groß, asymmetrisch und schien in Flammen zu stehen. Kampfjets umschwirrten es, versuchten augenscheinlich es abzuschießen. Wie Picadores bei einem Stierkampf. Corey konnte nicht anders, als hochzusehen, sah eigentümliche Lichtblitze aus dem Objekt schießen. Sie hielten mit irrsinniger Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit auf die Jäger zu – bis zur Kollision. Corey starrte. Das Objekt war bereits sehr tief, rauschte über das Areal und verschwand in Richtung Lyon. Die restlichen Jagdmaschinen folgten ihm zunächst, drehten dann ab und flohen in die entgegengesetzte Richtung. Noch immer konnte Corey sich nicht rühren. Sein Innenleben war ein nie gekanntes Potpourri – Angst um sein Leben, Fragen nach der Zukunft, Rätselraten über den nächsten Schritt. Alles an diesem Moment war neu, noch nie dagewesen. Corey,
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