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Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gallo
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ergreifen mußte.
Der Ausgang dieses Wettschießens steht fest. Wir werden einfach aus der Geschichte gestrichen – ein ganzer Planet. Wir waren nie die Giganten im Universum, für die wir uns gehalten haben. Jetzt zählt das nackte Überleben, Tag um Tag.
Es gab eine Zeit im Leben, dachte er weiter, da ergab sich das Gefühl, man würde träumen und müßte sich zum Aufwachen zwingen, so groß waren die Schrecken, die man sah. Wie jetzt. Aber niemand schlief. Alle waren wach. Er wußte auch, daß man diesen Schrecken entgegentreten mußte. Es nützte nichts, sich abzuwenden. Oder davonlaufen. „Sehen wir es uns an.“ Er nickte gen Holo. „Vielleicht erfahren wir was, weiß nicht, irgendwas, das uns hilft.“
    Sie folgten der Dauersendung. Die Lage wurde immer schlimmer. Will fiel ein, was er auf der Fahrt gehört hatte, weshalb man überhaupt in der Lage war, auf Holo zu empfangen. „Im Radio heißt es, die Aliens hätten die Satteliten absichtlich intakt gelassen – damit wir mitkriegen, was die mit uns machen. Teuflische Bastarde.“ Vor ihnen, auf dem Schirm, brannte der Speckgürtel einer Großstadt irgendwo in Osteuropa.
Warschau? Prag?
Will sagte laut und deutlich: „Marta, Cognac. Den Rémy Martin, einen Doppelten. Bitte.“
    Sie blieb sitzen, wirkte immer angegriffener, wie an Neurasthenie, an fahriger Erschöpfung erkrankt, geistig eingetrübt wie im Delirium. William sorgte sich sehr. Ihr Blutdruck war das Problem. Er drückte ihre Hand. „Okay“, murmelte er. „In Ordnung, Liebe.“
    Joshua rief: „Opa, schau!“
    Er sah es. „Das ist Edinburgh.“
    SkyNet zeigte jetzt einen schottischen Regionalsender namens
Tri-Zone
. Man sah Kies- und Teerdächer einer weniger repräsentativen Gegend der Stadt, Rohrleitungen, Ventilationsschächte und Klimaanlagen, dazu Teile der Gitterdrahtschale einer Wetterstation. Will überlegte. Auf einem Dach in Edinburghs Süden oder Osten mußte es eine Kamera geben, vermutlich die Überwachungskamera eines privaten Sicherheitsbüros, deren Bild vor dem Hintergrund erleuchteter Baukräne die umliegenden Gebäudekomplexe und Asphalthöfe zeigte und deren Signal die Mitarbeiter
Tri-Zones
angezapft hatten. Die auf dem Schirm vorbeiziehenden Gebäude – Fabrikhallen, ein Bürokomplex, ein Penthouse mit riesigem Balkon – übersah Will. Ebenso die beleuchteten Höfe und Eingangsbereiche der Hallen und Lieferantenzufahrten. Die kreisenden Hubschrauber der Sendeanstalten mit ihren lebensmüden Sensationsreportern auch. Ihn interessierte nur das viele Feuer am Himmel und am Boden in Richtung Stadtzentrum. Flammen loderten zwischen den Häuserreihen. Zuerst glaubte er, die ganze Stadt stünde in Brand. Auch, wenn der Vergleich hinkte, aber er dachte unweigerlich an ein Erntedankfeuer Jahre zuvor, das plötzlich aufgerissen war und sich weit zerstreut hatte, ehe man es löschen konnte.
    „Die Hauptstadt brennt“, flüstere er. „Das alte Edinburgh...“
    „Die ganze Welt“, sagte Marta.
    Jack winselte.
    Joshua sagte nichts.
    Will ging zur Minibar in der getäfelten Schrankwand. Er nahm einen Cognacschwenker, dann die Flasche Rémy Martin, schenkte sich großzügig ein, hob den Schwenker und setzte ihn an die Lippen. Die Flüssigkeit schimmerte kurz wie flüssiges Gold, und das Glas war leer.
    Draußen heulten Sirenen. Will sah zum Fenster hinaus. Immer mehr Menschen vor ihren Häusern. Sie standen versteinert da, liefen panisch umher oder schrieen einander an.
Mobbildung
, dachte Will.
Prägnante Eigenschaft einer Menschenmasse, diesich bedroht fühlte. Störung der Verhaltensdynamik. Es gipfelt im Chaos.
    Viele Menschen liefen, in der Hoffnung, hinter dem Portal des großen Steinbaus Zuflucht zu finden zur Kirche. Irrsinnig; verständlich. Menschlich. Die Kirche war verschlossen (William entging die Symbolik nicht). Sie mußten woanders Schutz suchen und irrten schreiend, zeternd oder in gespenstischem Schweigen umher. Manchen rannten zum Pfarrhaus. Bald, argwöhnte Will, bestünde die menschliche Rasse nur noch aus einer Handvoll verschüchterter Grüppchen, die es nicht wagten, irgend etwas zu tun oder miteinander in Verbindung zu treten. Er ging erneut zur Minibar.
    Und dann zurück zum Holoschirm, zur tobenden Schlacht ... Von den Bannern vor Waterloo, den Gräben Verduns und dem Flammenmeer Berlins, von dem Gleißen der Atomexplosion über Tel Aviv und den Kondensstreifen vorhin am Himmel: William wußte, wann eine Schlacht geschlagen war.
    Die Spinner damals,

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