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Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gallo
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Dinge spukten ihr durch den Kopf. Über Kreise, die sich schlossen. Alte Fehler. Neue. Über den einen schicksalhaften Augenblick, der sich dem Menschen gegenüber irgendwann einmal vielleicht offenbart, aber von diesem dann auch als solcher erkannt und genutzt werden muß. Unbedingt genutzt werden muß.
    „Schiß?“, fragte Sarah-Jem.
    Nazma drehte sich um. Sie nickte angedeutet. „Mehr als das.“
    Sarah-Jems Blick zeigte die höchste Form von Verständnis, die es auf der Welt überhaupt geben konnte. „Ich weiß genau, was du meinst.“
    Die scheinbar kaputte Leuchtstoffröhre über ihr erwachte mit einem knisternden Flackern wieder zum Leben. Etwas mehr Licht – wenn auch kalt und unstofflich, aber immerhin – schien wieder auf sie herab. Nazma registrierte es am Rand, mehr auch nicht. Sie sah nicht einmal auf, sondern betrachtete Sarah-Jem vor ihr. Vor ihr stand nur ein anderer Mensch, aber ein Mensch über dessen Auftauchen Nazma sich irrsinnig freute.
    Sarah-Jem trug noch immer diese trotz aller Wehmut deplatziert wirkende Heiterkeit im Gesicht, als sie ihren Blick durch den Waschraum schweifen ließ, Nazma dann eine Hand auf die Schulter legte und sagte: „Ein schlechter Tag für die Heimmannschaft, nichts weiter.“
    Dieser Satz war unglaublich. Vielleicht mochte er sogar stimmen. Nazma schaffte es irgendwie, auf diesen Zug mit aufzuspringen. „Ich würde sagen, rekordverdächtig schlecht.“
Was für ein unglaublicher Blödsinn.
    Und Sarah-Jem lächelte und lachte kurz. Es war ein unglaublich merkwürdiger, für Nazma fast vergessener Laut, ein Geräusch, von dem sie geglaubt hatte, es wäre für immer verklungen. Aber sie hörte es. Jetzt. Daß es gerade hier erklang und ausgerechnet von Sarah-Jem stammte, der Frau, die Nazma zusammen mit Judith zum Teufel gewünscht hatte, war eine Sensation, ein nicht für möglich gehaltenes Kuriosum.
    Aber eine wahrhaftige Tatsache.
    Sarah-Jem zog ihre Hand zurück, blies kräftig in ihren Lungen angestaute Luft aus und setzte sich mit überkreuzten Beinen auf den Boden. Sie rieb sich die Augen. Sie wirkte müde und entkräftet, daß begriff Nazma ganz allmählich, aber dessen ungeachtet ganz sicher nicht hoffnungslos. „Keine Ahnung, was diese ganze Kacke hier soll, Nazma, ehrlich.“ Sie sah zu ihr auf. Nazma standregungslos da. Sarah-Jem blickte wieder hinab und sagte: „Ich meine, eben noch sitze ich bei einem Treffen zur Organisation eines Studentenballs im Tanzsaal eines Hotels und ... Hm. Ich weiß noch, wie ein paar Jungs ihre Holodeckgeräte anschlossen und ausprobierten und ... keine Ahnung, irgendwelche psychedelischen Filmbilder flimmernd über eine Wand pulsierten...“ Wieder wanderte ihr Blick zu Nazma hinauf, und diesmal verblieb er dort, als sie weitersprach. „Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist eine von massigen dunklen Vorhängen verdeckte Tür mit einem roterleuchteten ›Exit‹-Schild darüber.“ Sie blickte auf ihre Finger. „Dann, ganz plötzlich, ging es los. Einfach so. Ich flüchtete von diesem Ort und lief so schnell ich konnte hierher. Auf einmal war überall Chaos und Verzweiflung. Die Leute begannen wie wahnsinnig davonzulaufen, ganz egal wohin, einfach nur irgendwohin. Die haben sich förmlich gegenseitig niedergetrampelt. Es muß viele Tote gegeben haben.“ Ein Seufzen. „
Shizz.
Du kannst dir nicht vorstellen, wie schrecklich es war.“
    Doch, kann ich. Das kann ich wirklich
, dachte Nazma und glaubte einen Moment lang wirklich, aus irgendeinem verqueren Grund könnte Sarah sie verstehen oder hören oder was auch immer. Jedenfalls schien sie zu wissen, was ihr gerade im Kopf vorging – aber vielleicht war das auch gar nicht so schwierig dieser Augenblicke. Vermutlich konnte jeder in ihrem Gesicht lesen, wie in einem offenen Buch.
    Sarah-Jem atmete tief durch und sprach die nächsten Worte sehr langsam aus. „Was für ein riesiger, allumfassender gott
verdammter
Scheißdreck.“
    Dem hatte Nazma nichts hinzuzufügen, nicht ein Wort. Tatsächlich wunderte sie sich kurz darüber, daß eine Sarah-Jemima Watkins durchaus in der Lage war, mehr als achtbar zu fluchen. Sie hätte das nicht gedacht. Das paßte überhaupt nicht zu dem von aller Welt als spießig und reserviert verspotteten Jesuskind. Aber schon im nächsten Moment kam ihr dieser Gedanken selber ausgesprochen dumm und unpassend vor. Was dachte sie denn, natürlich konnte eine Bibelschwester fluchen, erst recht, wenn die Erde von Außerirdischen angegriffen

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