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Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gallo
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mehr, aber es genügte Nazma, um einen weiteren Einblick in die ganz private, von Schrecken und Ängsten gezeichnete Gedankenwelt eines fremden Menschen zu erhaschen. Große Einsamkeit stand in den Augen dieser Frau geschrieben. Und unendliche Traurigkeit. Nazma glaubte fest daran, daß es in ihrem Blick nicht viel anders aussah.
    James M. Barries berühmtes Kinderbuch fiel ihr ein. Peter Pan. Sie hatte es viele Male gelesen.
So viele Wendys. So viele Lost Boys.
Hier war Nimmerland, und auch sie eine Verlorene; sie fühlte sich gottverlassen.
    Unmittelbar darauf gingen auch die anderen Frauen. Nazma war ein paar Minuten allein. Sie sah erneut in den Spiegel, betrachtete ihr Gesicht. Die Neonlampen unter der Decke warfen kalte Schlagschatten auf ihr Gesicht. Sie war im Arsch. Was sollte sie jetzt tun? Sie seufzte.
    Auge in Auge mit sich selbst, den Gedanken hegend, der größte Feind des Menschen, sein ärgster, ältester Dämon wäre er selbst, fielen ihr die jüngsten Meldungen über den Einfall der Shumgona ein. Offenbar hatten die Skulls Menschengestalt. Noch hatte man keinen dieser Bastarde ohne diese unheimliche Maske mit den drei giftgrünen Augen gesehen, so zeigten Bilder aus den Kampfgebieten doch eindeutig, daß die physiologischen Grundmerkmale der Außerirdischen jene der Menschen von der Erde ähnelten. Zwei Arme, zwei Beine, oben ein Kopf. Nazma wußte nicht, wie siediese Tatsache finden sollte. Machte das die Sache nun leichter zu greifen oder noch unfaßbarer, grotesker? Vielleicht wäre es für die Soldaten der Erde einfacher, gegen schleimige, widerwärtig anzuschauende Aliens zu kämpfen (ihre widerwärtigen Drachen einmal außer acht lassend), als gegen jemanden, der aussah wie man selbst. Vielleicht war es auch leichter, einem Feind gegenüberzustehen, der über die ähnlichen – verwandte? – evolutionären Wurzeln verfügte. Je länger sie darüber nachdachte, desto symbolischer verhielt sich für sie der Umstand der äußerlichen Ähnlichkeit von Mensch und Shumgona. Also kämpfte auch hier Mensch gegen Mensch. Menschen von der Erde kämpften gegen Menschen von ... woanders, weit weg. Sie wußte nicht, worum es bei diesem Kampf ging. Genausowenig war ihr klar, welche Rolle Deimos’ dabei spielte. Oder Corey oder Judith oder sie selbst. Wohl aber war sie der festen Überzeugung, von der Regierung im Stich gelassen worden zu sein. Natürlich mußte irgendwer von oben eine Ahnung dessen gehabt haben, was da auf sie alle zukam. Berg, Bals, irgend jemand mußte gewußt oder im Lauf der Ereignisse erfahren haben, was das Auftauchen dieses Marsmondes zu bedeuten hatte. Besonders Aron Berg. Er mußte zeitlebens irgendein geheimes Wissen mit sich herumgetragen haben. War das der Grund dafür gewesen, daß man ihn umgebracht hatte?
    Wie auch immer, es spielte jetzt keine Rolle mehr, wer was gewußt oder vertuscht oder unterlassen hatte zu tun, um all dies anders ablaufen zu lassen. Es war scheißegal. Zu spät, sich wegen irgend etwas dergestalt den Kopf zu zerbrechen. Die Skulls waren da, die Menschen dabei, gehörig aufs Maul zu kriegen.
    Nazma sah sich noch immer ins Gesicht. Es war schmutzig von ihrem Sturz ins Gras, trotz des vielen Wassers. Ein paar Halme steckten ihr im zerzausten Haar, und sie zupfte sie weg. Sie versuchte, ihre Frisur zu richten, doch gab es bald auf. Ihr rechtes Auge war blutunterlaufen. Im weißen Kunstlicht wirkte ihr Teint krank. Kein Wunder, nach den Strapazen. Sie fühlte sich in jeder Hinsicht miserabel. Ihr war übel. Sie schob es auf den Streß, die Todesangst, und wenn eine beständige Übelkeit die einzige Begleiterscheinung all dessen sein sollte, wäre sie, fand Nazma, noch glimpflich davongekommen. Glimpflicher jedenfalls als Pfannkuchen-Mann. Fast hätte sie sich vor dem Spiegel stehend selbst ins Gesicht gelacht.
    Sie versuchte, ganz ruhig zu werden, auf irgendeine Weise in sich zu ruhen, aber es gelang ihr nicht. Es war ihr bisher im Lebennicht gelungen, und hier und jetzt würde es unter Garantie auch nicht funktionieren. Durch die geschlossene Metalltür hörte sie nur leidlich gedämpft den Lärm der Menge, dieses kakophonisches Brodeln aus Rufen, Schreien und Gezeter. Eine der weißen Leuchtstoffröhren an der Decke begann zu Flackern. Nazma sah entmutigt auf. Dann erlosch die Röhre mit einem Knistern ganz. Auf Nazmas Gesicht, um sie her, wurde es einen Deut dunkler; ihre rechte Gesichtshälfte begann zu Zucken. Dann erbebte sie innerlich, schließlich

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