Kairos (German Edition)
beiden Frauen bewegten sich rückwärts gehend langsam zur Tür. Die Studenten sahen ihrem Rückzug angsterfüllt zu.
„Okay, verschwinden wir“, sagte Sarah-Jem.
„Tut das“, nickte der MP.
„Aber nicht, weil ihr so harte Kerle wärt. Glaubt mir, das seid ihr nicht. Ihr habt ebenso viel Angst wie alle anderen.“ Sarah-Jem warf einen letzten Blick auf die Studenten. „Ich wünschte, wir könnten was tun“, sagte sie.
„Ich habe ’ne besser Idee, als dieses Palaver!“, schrie einer der MPs und rammte dem nächsten Studenten die beiden ersten Knöchel seiner Linken in den Solarplexus. Der junge Mann keuchte und ging zusammengekrümmt in die Knie. Der Polizist knallte seinen Schädel seitlich gegen die Wand. Blut spritzte auf die Kacheln. Dann schickte den jungen Mann ein gewaltiger Schwinger zu Boden. Das perverse Vergnügen der Beamten zeigte sich an ihrem Gelächter.
Nazma drehte sich der Magen um. „Shizz“, flüsterte sie. „Schnell weg.“
„Ja“, entgegnete Sarah-Jem, und gemeinsam stürzten sie zur Tür.
„Macht’s gut, ihr Süßen“, rief ihnen einer der Uniformierten nach, und Sarah-Jem erwiderte: „Abgefuckte Scheißtypen.“ Sie spuckte auf den Boden und wischte sich die Mundwinkel ab.
„Nicht, Sarah...“
Sarah-Jem drehte ruckartig ihr Kinn zur Seite. „Ich habe keine Angst vor euch.“
„Das reicht jetzt!“, brüllte einer der Männer, seine Visage eine von ekstatischer Wut entstellte, schizoide Fratze, und stürzte Sarah-Jem nach. Er zog seine Dienstpistole und richtete die 45erAutomatik auf Sarah-Jem. Nazma stieß einen Angstschrei aus.
„Das hier ist kein Bluff.“
Nazma glaubte ihm aufs Wort und zog Sarah-Jem am Arm zurück. Die aber blieb stehen. Nazma konnte das nicht verstehen. „Verdammt, Sarah, was machst du denn? Der Typ meint es ernst. Wir sollten uns aus dem Staub machen.“
„Ich rühr mich nicht vom Fleck.“
In dem Augenblick erreichte sie der MP. Sarah-Jem vollführte einen Ausfallschritt nach links, und der Mann lief ins Leere. Doch er war schnell. Er holte mit der Faust aus und schlug zu. Er gab Sarah-Jem eine Ohrfeige, daß es ihr den Kopf herumriß. „Halts Maul, Schlampe!“, schrie er. „Abknallen sollte ich dich!“
Sarah-Jem starrte nur. Angst schien sie keine zu haben, und das machte Nazma innerlich rasend. Sarah-Jem hockte da. Sie war in die Knie gegangen, massierte sich die schmerzende Wange. Blut lief aus ihrer geplatzten Lippe. Sie sah den Mann, der sie geschlagen hatte, an. Konnte dessen Alkoholatem riechen. Sie sah, daß in den Taschen seiner Weste etliche Tränengasgranaten steckten. Sarah entdeckte auch den Metallstift, den man ziehen mußte, um die Granate zu zünden Sie überlegte, ob sie versuchen sollte, ihn zu erreichen...
„Komm, Sarah, bitte“, flüsterte Nazma kraftlos.
Nazma zog an Sarah-Jems Arm, und diesmal ließ sie sich hinausführen. „Das haben sie nicht umsonst getan.“
„Raus hier, bevor ich mich vergesse“, sagte der Militärpolizist mit leiser und vor Wut heiserer Stimme.
Sarah-Jem, in der Rückwärtsbewegung: „Seht ihr nicht, was passiert? Was die Skulls mit uns anstellen? Die wollen doch nur, daß wir gegeneinseitig aufeinander losgehen, daß alle Freiheit den Bach runtergeht, und genau das erreicht ihr Arschlöcher mit eurem Faschistengehabe. Denkt mal eine Sekunde nach, welchem Feind wir gegenüberstehen...“
„Raus!“
Sie erreichten den Flur, der den Toilettenvorraum mit der Sporthalle verband. Die Tür fiel hinter ihnen zu, und Nazma und Sarah-Jem standen einen Moment konsterniert um Atem ringend da.
„Segen ihren Geistern“, flüsterte Sarah-Jem, auf die geschlossene Tür starrend. Nazma, Sarah-Jems Ausspruch nicht gewahrend, stieß hervor: „Die kommen uns nicht nach. Das war scheißeknapp.“
„Warum hast du das zugelassen?“
„Was soll ich zugelassen haben?“
„Du hast dich von diesen Hinterhofbullen einschüchtern lassen. Du wolltest gleich stiftengehen. Das war falsch von dir.“
„Aber, Sarah...“ Sie wußte überhaupt nicht, was sie darauf sagen sollte. „Das waren Militärpolizisten, die waren zu dritt, mit automatischen Gewehren, und außerdem...“ Sie brach ab. „Jetzt gib nicht mir die Schuld an dieser Scheiße, versuch das nicht!“
„Ach zum Teufel! Mir geht es jetzt nicht um bescheuerte Schuldzuweisungen. Komm endlich raus deinem Kopf, Nazma. Es geht darum, Rückgrat zu zeigen. Sich in Nächstenliebe zu beweisen, im Vertrauen zu irgendeiner Form von Gott.
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