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Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gallo
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die Erde und nichts als Wüste. Vor langer Zeit einmal fruchtbar, aber jetzt...“
    „Marsmenschen“, sagte Joshua gedankenlos.
    „Was?“
    „Ich suche die Marsmenschen.“
    „Dann viel Glück.“
    Joshua spähte verbissen. William sah ihm zu. Der Junge kaute seine Unterlippe, die Hände zitterten leicht.
Er sieht aus wie seine Mutter,
dachte William wehmütig.
Er sieht aus wie sein Vater.
Er stand auf und trat lächelnd hinter sein Enkelkind und sah zur Dachluke hinaus. Die alten Meilensteine nach Dornoch glommen im Mondlicht. William betrachtete die Sterne. „Keine Marsmenschen, Josh. Nur Wasser. Und Eis. Ein paar Bakterien, tief unterm Sand. Das war’s.“
    Joshua sagte, ohne aufzusehen: „Ich weiß.“
    „Oh.“ William trat einen Schritt zurück. „Entschuldige.“ Er schlenderte sein Bier trinkend über die knarrenden Dielen des Dachbodens. „Du bist ein Goldjunge, ja wirklich, ganz gleich, was passiert ist. Du wirst ein wundervolles Leben haben voller großartiger Augenblicke. Laß dich bloß nicht unterkriegen ... Was ich sagen will, ist...“
    „Hey, was ist das?“
    William überlegte. „Die Raumstation?“ Nur sehr selten bekam man ihre Module und Röhren zu sehen. Mit etwas Glück und unter günstigen atmosphärischen Bedingungen war es zumindest
möglich
, etwas zu erkennen, dann sah die Station aus wie ein über den Himmel rasender Stern, heller noch als Venus. William ging zu Joshua. „Was, die
United
?“
    „Nein...“
    „Sondern?“ Aus Joshuas Körperhaltung sprach Konzentration und Anspannung. „Sag schon. – Nein, mach Platz, ich will selbst sehen.“
    „Irgendwas bewegt sich.“
    „Was bewegt sich?“
    „Weiß nicht. Irgendwas.“
    „Rutsch rüber.“ William stellte die Bierdose auf einem Technik-Nachschlagewerk ab und sah durch das Fernrohr. Er blinzelte; seine Augen sahen nur langsam scharf. „Ja ... ja, du hast recht. Irgendwas ist dort. Pfeilsschnell. Ein Wunder, daß wir es überhaupt erwischt haben. Sagte ich nicht, du bist ein Goldjunge?“ Ohne hinzusehen, zersauste er dem Jungen das Haar und benutzte dann eine Sonnenblende, um das Planetenleuchten zu mindern.
    „Ist es ein Asteroid?“, fragte Joshua. „Oder Meteor?“
    „Den Unterschied erkläre ich dir noch. Aber, ein Asteroid ... könnte sein. Ich weiß nicht.“ Aus dem Van-Allen? Er glaubte es nicht. Er hätte davon gehört. Was dann? Der Fleck neben Mars war zu hell für einen fernen Stern und zu konstant für ein Trugbild. „Ich werde ein paar Bilder schießen. Wir zwei beide werden am Ende noch berühmt.“
    Die Aufnahmen knipste er mit dem Teleobjektiv durch das Teleskop. Er stellte lange an dem richtigen Grad der Apparatur, dem Maß des Auflösungsvermögens und der Helligkeit, und bekam ein halbes Dutzend, wie er fand, passabler Fotos. Er bannte die Originale auf selbstentwickelnden Film und ließ eine elektrooptische Software Abzüge machen.
    Dann sah er, um was es sich handelte. Er konnte es nicht glauben. Ihm wurde schlecht vor Aufregung.
    Der Junge, die Fernglasfotos betrachtend, löcherte ihn mit Fragen, die er nicht beantworten konnte. „Vielleicht, kleiner Mann“, sagte er schließlich, zum Himmel sehend, „sind das deine Marsmenschen.“
    „Wahnsinn!“
    „Vorsicht, Junior“, sagte er, weiterhin hinaufblickend. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn; er wußte nicht, woher es rührte, noch worauf es hindeuten mochte. Er war sicher, daß er es sich nur einbildete, aber während er weiter hinsah, zu den Sternen empor, dem fernen Mond, schien die Nacht um ihn herum in der Tat etwas dunkler zu werden.

6
    Über dem Amazonas folgte der Donner dem Blitz. Alles tropfte, die Bäume, das Dickicht, und war getaucht in das Unterwasserlicht des wütenden Unwetters. Schreie wilder Tiere durchdrangen die Nacht.
    Im Dorf Shepitiari besuchte der Stammesälteste den Schamanen. „Der Geschichtenerzähler will mich sehen?“
    „Ah, Anaki...“, flüsterte Quesehual mit der rauhen Stimmen eines heiseren Mannes, den Blick ins Nirgendwo gerichtet. Seine vorstehenden Backenknochen ließen ihn asiatisch wirken, die großen Mandelaugen dagegen wie einen Nordafrikaner. Er saß da, mit angewinkelten Knien, die Ellenbogen auf die Schenkel gestützt und die Arme ausgestreckt. Bis auf eine Halskette aus Schlangenköpfen und Knochen und Zähnen seiner Jagdbeute war er nackt. „Setz dich.“
    Anaki tat es.
    „Sieh doch, unser Volk.“
    Und Anaki sah hin, lauschte dem Lachen, den Stimmen. Musik, Tanz, Liturgie.
    Der

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