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Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gallo
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Stranddecken und Picknickkörben. Ein paar halbnackte Aktionskünstler liefen vorbei. Zwischen den Zelten tauchten kurz zweiJongleure auf, die Sonnensysteme kreisen ließen. Über allem lag eine Feierstimmung, die Nazma beim besten Willen nicht verstand. Die Welt schien ein einziger Jahrmarkt. „Das alles hier entweiht es...“
    Corey sah bereits wieder durch sein elektronisches Fernglas, als er murmelte: „Was hast du gesagt?“
    „Ich sagte, das entweiht es.“
    Er senkte kurz das Fernglas. „Wovon sprichst du überhaupt?“
    Kurz bohrte sich ihr Blick in seinen. Nazma sah Coreys offenes Desinteresse und sagte: „Ach nichts. Vergiß es, du verstehst es ja doch nicht.“
    Er beäugte sie verständnislos. Als er spürte, wie der Puls der Menge erneut anstieg, legte er rasch wieder den Kopf in den Nacken. „Paß auf; er kommt!“
    „Man schlachtet es aus, sonst nichts. Eine tiefere Bedeutung ist ihnen egal, alles ist so ... fadenscheinig“, sagte sie.
    Corey sah sie abwartend an.
    „Entschuldige, dann nicht!“ Sie marschierte davon. Etwas abseits blieb sie stehen und betrachtete niedergeschlagen das knöcheltiefe Gras.
    Die Dinge drohten ihr zu entgleiten, das fühlte sie. Zugleich spürte sie den wohlbekannten Stich in Bauch und Brust, der ihre Menstruation anzeigte. Auf seltsame Art erfüllte sie dieses Aufzeigen ihrer Fraulichkeit mit einem tröstenden Glück; es brachte mit seinem vorhersehbaren Rhythmus der Erneuerung ein Stück Beständigkeit in ein Leben zurück, in dem es davon kaum noch etwas gab.
    Sie war mit Corey praktisch auseinander. Weder er noch sie hatte es bislang ausgesprochen, aber ihr Gefühl sagte, daß dem so war. Sie litt, fühlte sich all dem gegenüber hilflos.
Und Hilflosigkeit erweckt Ehrfurcht
.
Ehrfurcht wieder erzeugt den Wunsch nach Unterwerfung ... aber auch nach Liebe. Unsere Liebe jedenfalls ist vorbei.
„Ja“, sagte sie im Flüsterton, und dann war Corey bei ihr. Sie umarmte ihn. Selbst sie fand es überraschend.
    Corey löste sich von ihr; sie stand verwirrt da, während er Deimos am Himmel suchte. „Er kommt! Sieh hin!“
    Man gestikulierte zum Himmel, rief und jubelte. Die Menge bewegte sich wie nach einer Choreographie, wie ein sturmgepeitschtes Weizenfeld. Die tosende Begeisterung war ohrenbetäubend.
    „Schau!“
    Corey folgte dem Mond mit seinem Glas. Er ging unbewußt ein paar Schritte. Nazma nicht. Sie hörte Gesang und sah dorthin, woher er kam. „Meine Güte“, stöhnte sie.
    „Ich glaub’s nicht!“, rief Corey und grinste hinter dem Fernglas. „Unglaublich! – Nazma?“ Sie antwortete nicht, und erst, als Deimos weitergezogen war, begegneten sich ihre Blicke. „Was ist?“, fragte er wachsam.
    „Das ist.“
    Corey sah es. Männer mit Pferdeschwänzen, Kutten, Schmuck und Tätowierungen hatten einen Kreis mit Fackeln abgesteckt und darin etwas mit weißer Farbe auf das Gras gepinselt. Ihre Blicke waren nach innen gerichtet. Sie intonierten einen trägen, chaotischen Gesang, dessen Sprache Nazma nicht einordnen konnte. Wütend machte sie einen Schritt auf die Gruppe zu, doch Corey hielt sie am Arm. „Was soll das?“, zischte er.
    „Aber die sind doch irre!“
    „Laß sie einfach in Ruhe.“
    Sie stemmte die Fäuste in die Hüften. „Aber all das hier sollte nicht von diesen ... Freaks ausgenutzt werden.“
    Corey fand, sie überzog maßlos. Diese Menschen taten keinem etwas zuleide. „Sie mögen spleenig sein, ja. Verrückt. Aber harmlos.“
    „Und das weißt du genau?“
    „Du grübelst zuviel“, entgegnete er.
    „Und wenn schon.“
    „Bleib ruhig.“ Er lächelte gepreßt. „Immerhin erscheinen sie mir nicht sehr fadenscheinig, oder was?“
    Ihr war nicht danach. „Laß mich doch in Frieden.“
    „Ich versuche bloß, dich zu verstehen.“
    Entnervt warf er das Fernglas in seinen Rucksack und setzte sich ins Gras, den Blick in unbestimmte Ferne gerichtet.
    Nazma setzte sich die Arme um die Knie schlingend neben ihn. Der Wind zupfte an ihrem Haar. Sie brachte kein Wort heraus. Anders Corey. Seine Worte verwirrten sie.
    „Was, wenn die Menschen die Kontrolle verlieren sollen. Ich meine“, fuhr er fort, als Nazma nichts sagte, „vielleicht haben wir es für die da endgültig vermasselt. Vielleicht verdienen wir es nicht, auf der Erde zu herrschen.“
    Nazma mußte sofort an ein Schlachthaus in Karatschi denken, das sie als Kind gesehen hatte, an die Panik in den Augen derTiere. Sie roch den Kot und den Urin, und hörte die

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