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Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gallo
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Stamm war unter seiner Gemeinschaftsbehausung versammelt, einem im Zentrum offenen Runddach aus hinabgeneigten Ästen und bedeckt mit Palmzweigen. Die Körper der Eingeborenen waren mit Ruku bestrichen – einer pflanzlichen grünen Körperfarbe – und bemalt mit komplexen Mustern. Ihr Geschlecht verdeckte ein Stoffstreifen. Sie bewegten sich um ein Feuer. Frauen mit klimperndem Schmuck streuten bunte Pulver hinein. Ein süßer, ätherischer Duft lag in der Luft. Aus Schläuchen gegerbten Leders und aus Glasflaschen wurde Alkohol gereicht. Die aromatischen Gerüche und berauschenden Getränke begannen, ihre Sinne zu benebeln. Während die Ritualtänzer und die auf Tierhäuten und Fellen Sitzenden dem Flammenschein voll ausgesetzt waren, verblieben Anaki und Quesehual im bernsteinfarbenen Halbdunkel.
    „Ja“, sagte Anaki. „Sie preisen die Götter, die uns einst schufen.“
    Anaki trug eine Schale mit Pulver bei sich, das er nun in ein Blasrohr gab. Er reichte es Quesehual, der danach griff und es sich an die Nase setzte. Anaki blies, und das Pulver schoß heraus.
    „Die Götter zeigten uns den Geist“, sagte Quesehual nach einer Weile. „Sie beschützten uns.“ Er spuckte aus. „Hörst du ihren Gesang?“
    „Klarer denn je.“
    „Und, was hörst du?“
    „Die Flüsterstimmen der Vergangenheit.“
    „Auch solche der Zukunft?“
    Ein Nicken. „Ja.“
    Quesehual schwieg.
    „Du hast Angst“, sagte Anaki.
    „O Großer, ja.“
    Der Schamane folgte jetzt einem inneren Pfad. Er hatte mit Hilfe des Halluzinogens Kontakt zu Naturgeistern und toten Seelen aufgenommen. Es sah die inneren Sphären. Der Mensch war immer Teil vieler Gesamtheiten: Stamm, Sippe, Land, der Bindung zwischen Himmel und Erde. Quesehuals Aufgabe war, durch Riten und Gebete den Einklang zwischen ihnen zu wahren. Er heilte Krankheiten, ließ es regnen, eine Seele an einen guten Ort reisen, war Priester und Gelehrter; er war ein Reisender zwischen den Welten, sah Dinge, die sonst niemand sah.
    „Wir träumen. Sie tun es.“
    Anaki blickte zu seinen tanzenden und lachenden Schwestern und Brüdern. „Sie kennen nicht das Ende der Dinge, doch die Pfade dorthin. Aber die Angst hält sie zurück.“
    „Angst ist ein schlechter Begleiter. Dahinter lauern Dämonen.“ Quesehual sah in die Flammen. Ihr Schein veredelte seine Züge und die klaren Tiefen seiner Augen. „Das Volk, es singt. Ich höre die alten Verse der Stammesgeschichte.“
    „Sie rufen die Götter an. Sie vertrauen ihnen. Jeder von ihnen kennt seine Bestimmung. Sieh, Anaki: die Frauen schön und fruchtbar; die Männer stark und stolz; ihre Kinder satt.“ Er warf ihm einen Blick zu. „Sage mir, was träumen sie?“
    „Es sieht Rak´shasa, die Sterne, die Schlange, das Feuer und die Gezeiten. – Die Sternälteste erwacht.“ Kurz erwiderte er Anakis Blick. Und sah auf. Die Wolken zerrissen. Anzeichen des Morgens ließen Sirius und die Gürtelsterne im Orion verblassen.
Orion ... Krieg zwischen den Mächten ...
Quesehual nickte entschlossen und sah wieder Anaki an. „Die Götter kommen. Es wird entschieden.“
    Anaki nickte, senkte den Blick. „So sei es.“
    „Unser Krieger wird die Geburtsstätte der Großen Alten aufsuchen. Gib ihm den Schlüssel.“
    „Die Stätte...“, flüsterte Anaki ehrfürchtig.
    „Sie darf nicht verlassen liegen, wenn die Erwählten kommen.“ Quesehual erhob sich, Anaki mit ihm. Dieser sagte: „Er wird ihnen folgen, wenn sie es verlangen, bis zum Gestirn.“
    „Und für sie sterben.“
    Die Blitze zuckten näher; der Donner grollte tiefer. Aber es wurde heller. Quesehual und Anaki gingen gemeinsam zum Feuer. Der Medizinmann löste sich und schritt in das Halbdunkel. „Ein Krieg wird geschlagen. Armeen am Himmel und auf dem Land“, sagte er, und leiser, Anaki hörte es nicht: „Die Götter erwachen. Die Hellen...“ Er blickte in den Regenwald. „Und die Dunklen.“

7
    „So viele Menschen...“ Corey stand gegen den Geländewagen seiner Eltern gelehnt und starrte mit Nazma auf diese Zeltstadt vor ihren Augen. Überall saßen oder standen die Menschen und suchten mit Feldstechern, Theodoliten, Camcordern oder Teleskopen am Himmel.
    „Zu viele“, sagte Nazma tonlos weiterstarrend.
    Ganz Schottland schien auf den Beinen. Jeder wollte es sehen – Deimos, das unbekannte Flugobjekt, dessen aktuelle Bodenspur jetzt unmittelbar nördlich der Linie Glasgow/Edinburg verlief.
    Eine Gruppe junger Leute tauchte auf, laut lachend und bepackt mit

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