Kairos (German Edition)
sie gehört. „Niemand von Ihnen leidet unter Raumkrankheit, also beruhigen Sie sich. Wenn doch, ist es auch nicht schlimm. Eine Scop-Dex-Injektion, wirkt Wunder.“
Eiko entging nicht der Spott in ihrer Stimme. Und auch nicht, daß die Pilotin mit ihren Worten keinen Zweifel daran hatte, daß sie selbst mit so etwas Banalem wie Raumkrankheit niemals ein Problem haben würde.
„Raumkrankheit“, sagte Alain. .„Ein Leiden, bei dem der Mageninhalt zur Lunge hochgedrückt wird.“
Eiko spürte ihr Blut ungesund schnell die Adern durchpochen. Sie hatte schon mehrmals Wasser gelassen, und ihr Hormonspiegel war verändert. Sie wandte sich Alain zu, ohne ihn ansehen zu können (in ihrem Druckausgleichsanzug konnte sie sich kaum rühren). „Bist du sicher, daß...“
„Nein.“ Er wußte nicht, was sie hatte fragen wollen, und es war auch egal. Alles hier schien eigen zu schwingen. Er mußte sich weiterhin konzentrieren, um nicht zu erbrechen.
„Klar zum Abnabeln“, sagte die Pilotin.
„Versuche, flacher zu atmen“, sagte Alain.
Die Schubdüsen der Impulstriebwerke feuerten, erloschen, brachten die
Theseus
aus dem Erdanziehungsfeld und in eine Kreisbahn dicht vor den Mond, mit dem der Shuttle sich jetzt ein Fangrennen lieferte. Das Eigenschwingen ließ nach, hörte ganz auf. Die
Theseus
flog wenige tausend Kilometer vor Deimos.
Das war alles; Respekt dem Können ihrer Pilotin.
Was folgte, war Schwerelosigkeit. Das Gurtwerk lockerte sich, und allen ging es besser. Eiko, ein paar Fingerbreit über der Sitzfläche ihres Sitzes schwebend, kam sich vor wie eine Ballerina auf Droge. „
Whoa
“, rief sie. „Null-G ist die Wucht.“
Alains Augen leuchteten. „Wie geht es Ihnen?“, fragte er Bals, der sich zur Antwort auf die Brust klopfte. „Besser. Leichter.“
Wieder die Stimme aus dem Cockpit. „Wie ich sehe, sind alle wohlauf. Wir gehen auf Rendezvouskurs und lassen Deimos kommen. Und genießen Sie es, es ist auch schnell wieder vorbei.“
Eiko nickte gen Cockpit. „Meint die etwa mich?“
Alain atmete lange aus.
Sie folgten einer vorberechneten, elliptischen Bahn, dicht an Deimos heran.
„Captain, wo ist der Mond jetzt?“, fragte Bals.
„Auf der Tagseite, Sir. Warten Sie.“ Die Abdeckung eines Bullauges fuhr auf. Es war von Mikrometeoriten zerkratzt, zeigte aber eine atemberaubende Sicht auf die Erde, eine bunte Perle in der Nacht. Der Atlantik schwand langsam. Nordafrika glitt vorbei, dann der Indische Ozean.
Und dann sahen sie den Mond – das Schiff.
„Deimos“, verkündete die Pilotin, weiterhin die Nachtlinie ansteuernd.
„Immer noch keine Lebensspur“, murmelte Alain halb im Selbstgespräch, während er den Mond musterte. Keine Lichter; keine Bewegung. Nichts.
Die Oberfläche kam näher, wurde zu einem schroffen Relief; Krater und Erhebungen wurden deutlich.
„Wir gehen parallel, und ich bringe uns rein. Prinzipiell ganz leicht.“
„Prinzipiell“, echote Eiko. Einer der Blaukappen kicherte.
„Ich flog oft genug Dockingmanöver an die
United
. Das ist genauso. Es braucht nur das richtige Timing beim Feinsteuern.“
„Ah“, sagte Alain, der zu gut wußte, wie sehr ein Rendezvousmanöver bei zwölftausend Stundenkilometern Balanceakt war, gleichviel, wie selbstsicher ihre Pilotin daherkam.
Die sagte: „Hier ist es sogar leichter, da der Spalt größer ist, als die Andockbuchten der Station.“
Der Spalt. Die Öffnung auf Deimos Oberfläche hatte sich kurz nach ihrem Start aufgetan – eine Kluft, hinter dem scheinbar nur Leere gähnte.
„Ermutigend…“, sagte Eiko, verdrehte die Augen und bewegte dann ruckartig ihren Kopf. Ihr Innenohr machte Probleme. Sie würgte hilflos und hätte sich gern die Nase geschneuzt.
„Das Missionskontrollcenter hat den Landeanflug genehmigt. Lyon sagt, alles sieht gut aus. OMS gezündet.“ Das OMS ist ein Orbitalmanöversystem für Brennschübe. „Rendezvous in T minus dreißig Sekunden.“ Es knackte, als sie die Sprechanlage abschaltete.
„Miststück“, schniefte Eiko.
Alain vermied es zu grinsen. „Sie ist dir nicht sympathisch?“
Sie winkte ab.
Ihre Gurte strafften sich. Die Phase der Gewichtslosigkeit war vorbei. Die Bremsdüsen zündeten. Alain, Eiko und Bals beobachteten ihren Flug auf dem Schirm. Die Pilotin konzentrierte sich auf die Entfernung und relative Geschwindigkeit. Der Spalt kam immer näher. Alle hielten den Atem an, saßen in der Stille und sahen zu. Alains Blick ruhte kurz auf den vier Stäben,
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