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Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gallo
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instinktiv gleich.
    [Die Energie.]
    Sie spürten ein seltsames Vibrieren durch ihre Stiefelsohlen, wie bei der Passage eines Zuges. Es ging ihnen durch Mark und Bein. Ein Schwall kühle Luft strich vorbei. Licht prallte gegen ihre geschlossenen Lider. Alle spürten es: etwas hatte sich verändert.
    Eiko rief: „Seht doch!“
    Alain stählte sich innerlich, öffnete vorsichtig die Augen. Das Licht war strahlend hell. Zuerst schien es von oben zu kommen, dann war es allgegenwärtig. Er sah Eiko, Doria und Enriqu als wabernde Scherenschnitte vor der weißen Glut stehen. Dann erlosch das Licht jäh. Alain taumelte mit weichem Blick und ausgestreckten Armen zurück. Der Anblick traf ihn wie ein Schlag. Millionen Volt durchschossen sein Rückgrat. „Wir – wir haben es geschafft! Eiko ... das Sternenschiff ... Ist das...“
    ... denn menschenmöglich?
    Ja.
    Ein unbeschreiblich seliger Schauer durchlief ihn.
    „Es ist fantastisch ... so wunderschön.“ Eiko sprach ganz leise vor Staunen, in ihrem Blick stand nichts als unschuldige Erregung.
    Enriqu sang.
    „He, Captain“, sagte Alain. „In einem lagen Sie richtig.“
    Sie starrte ihn nur an. Dann das Schiff.
    „Ihr Löffelbieger-Spruch: ›Etwas entsteht vor unseren Augen scheinbar aus dem Nichts, und wir werden wieder einmal völlig baff sein‹.“ Er grinste künstlich. „Sie hatten Recht.“
    Doria sagte und tat nichts. Sie starrte nur. Schließlich sagte sie: „Scheißen Sie nicht klug, de Saux. Nicht jetzt.“
    Im Steinkreis, angestrahlt von grellem Tropenlicht, schwebte, unvorstellbar schön, wie eine höhere Lebensform, ein Gral, ein himmlisches Wunder, das Sternenschiff der Som´ai. Es war ein daliegendes Oval, glatt wie ein geschliffener Kiesel. Auf seiner Hülle, wie hinter Rauhreif, glänzten Sterne.

21
    Inverness, Joshua Swans neue Heimat, lag im innersten Winkel des Moray Firth, unweit von Loch Ness. Mit dem Caledonian Canal und der Burg hatte die Hauptstadt der Highlands den typischen Charme einer Stadt des Nordens.
    Früher war Glasgow Joshuas Heimat gewesen, bis seine Eltern vor zwei Jahren bei einem Luftschiffsabsturz gestorben waren und seine Großeltern ihn zu sich geholt hatten.
    Joshua stieß die quietschende Fliegentür auf, trat auf die Küchenveranda und tat einen tiefen Atemzug. Es hatte endlich aufgehört zu regnen. Die Sonne begann, sich durch die Wolken zu boxen. Vom Teich, auf dem fette Seerosen trieben, drang träges Froschquaken. Vögel sangen von Dächern und Hecken. Tauben gurrten von den Giebeln und Schornsteinen. Die Luft roch durchdringend nach nassem, kompostiertem Mutterboden. Joshua sog den Duft ein.
    Er hatte etwas zu erledigen, etwas Wichtiges.
    Er zog sich sein weißes Frotteestirnband über den Kopf und sprang die Vortreppe hinab, lief durch den Garten, vorbei an einer zerfledderten Vogelscheuche im Frack, in den Wald hinter dem Haus. Jack schlüpfte an ihm vorbei und fegte bellend über die Wiese. Der morastige Pfad war gesäumt mit Wildfarnen, Büschen und sprießenden Keimen. Er schlängelte sich entlang dunkler Kiefern, Tannen und Birken, verlief zwischen buckligen Findlingen, stetig tiefer in den Wald. Sofort stieg Josh das Aroma von Baumharz in die Nase.
    Nach Joshuas Ankunft in Inverness hatte Großvater William unbedingt gewollt, daß sein Enkel den Norden kennenlernte und mit ihm eine zweiwöchige Reise durch das Hoch- und Heideland unternommen. Erster Halt war Loch Ness gewesen. Sie hatten in Drumnadrochit übernachtet, in Sichtweite von Urquart Castle mit seinem Ruinenturm. Am nächsten Morgen hatten sie eine schmale Straße durch dichte Nadelhaine genommen, an deren Ende sie den langgestreckten, bernsteinfarbenen See erblickten. Joshua hatte über das Wasser gespäht, dann den Blick gehoben und einen Goldadler gesehen, der in großer Höhe, die Fittiche gespreizt, den Kopf gesenkt, gravitätisch die Thermik nutzte und mit seinen scharfen Augen nach Beute Ausschau hielt.
    Sie waren weitergereist, nach Aviemore, durch die Grampians bis nach Blairgowrie, Perth und St. Andrews mit seinen Wochenendhäusern, dann die Ostküste wieder hinauf, durch Aberdeen und Banff.
    Unterwegs erzählte William immer wieder von ihrem kulturellem Erbe, von schottischen Highlandclans, die einst die
Sassunaichs
, wie die Schotten die Engländer abfällig nannten, bekämpften; von Jakobiten-Lairds in Kilt und Argyles; von gälischenVolksliedern über Feen und Kobolde und von William Wallace, Rob Roy MacGregor oder Robert

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