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Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gallo
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terrassenförmig Baumschulen angelegt hatte, auf den meisten anderen aber nur Gestrüpp wuchs. Am Rand einer solchen Schlucht stand Joshua jetzt. Sie diente bereits seit Jahrzehnten als Mülldepot. Joshua sah hinab auf rostige Bettgestelle, Emaille-Kühlschränke, zahllose Kleinteile, wie Sprungfedern, Flaschen, Autoreifen und mit Moos überzogene Styroporwürfel. Auf den schattigen Flanken der Schlucht lagen ein paar Autowracks. Joshua sah weiter unten das Skelett einesBMW – seinem Ziel – und kletterte zwischen Geröll und Müll hinab auf den Grund der Kippe.
    Er stieg über rostige Chrom- und zerbeulte Lackteile und ereichte den auf Felgen stehenden Wagen. Unter dem Beifahrersitz des rostenden Luxusautos lag sein Waidsack. Er zerrte ihn hervor, öffnete ihn ... und atmete auf – nichts fehlte. Da waren die Wanderstiefel, Extrakleidung, das Regencape, Erste-Hilfe-Set, Autan-Gel, die Müsliriegel und Obstkonserven, der Sterno-Kocher sowie die Hundekekse und das Ersatzhalsband samt Leine. Joshua langte unter den Fahrersitz und holte ein Nylonbündel – sein Einmannzelt, eigentlich eine Biwakplane – und seinen Fiberfillschlafsack mit Isoliermatte hervor. Er öffnete nacheinander die Schutzhüllen und inspizierte alles. Dann holte er ein paar Trinkpäckchen mit Orangensaft, eine handliche aber leistungsstarke Mag-Lite und das Taschenmesser aus seinen Taschen, tat alles zu den übrigen Dingen in den Rucksack und verstaute diesen wieder in der ausgeschlachteten Karosserie. Er war sicher, eines Tages – vielleicht bald – würde all dies Sinn machen, es sich auszahlen, daß er sich vorbereitet hatte.
Allzeit bereit.
    Jack kam hechelnd neben Joshua gelaufen und drückte sich gegen seine Seite. Der Junge drückte zurück. Jack sah zu ihm auf, mit dem Schweif wedelnd. Eine Wolke schob sich vor die Sonne. Sofort wurde es in der Schlucht dunkler und stiller.
    Jack bellte; er veranstaltete ein regelrechtes Gekläff. Joshua grinste. Er wußte, was der Hund wollte.
    „Klar, Kumpel“, sagte er und stand auf. „Geh’n wir heim.“
    Und das taten sie.

22
    Am Abend spazierten Aron Berg und Julie Monterrey durch den ummauerten Präsidialamtsgarten. Die Bäume raschelten und warfen Schatten auf makellose Grünflächen. Ein Rasensprenger sprühte eine glitzernde Fontäne über naßglänzende Blumenbeete. Es roch nach Humus und Lavendel. Nach Leben. Die Rhododendren und Anemonen welkten bereits, aber die Heckenrosen blühten. Vögel hüpften von Ast zu Ast oder tummelten sich einander beschimpfend in den steinernen Vogeltränken.
    Sie gingen schweigend. Unter ihren Schuhen knirschte der Kies. Monterrey dachte daran, wie unwichtig Galdeas Offenbarung allesandere mit einem Mal gemacht hatte: daß Brasilien wieder Regenwald abholzte; daß eine chinesische Flottille ein Manöver vor Kalifornien abhielt oder in Pakistan eine Wipfeldürre wütete.
    Berg winkelte einen Arm ab, Monterrey harkte sich bei ihm ein und sah zu ihm auf: das starke Kinn, der klare Blick, umringt von Fächerfältchen. Seine Ausstrahlung fesselte. Er war einzigartig kosmopolitisch, der geborene Führer. Sie sah den Kaffeefleck an seinem Revers und verkniff sich ein Lächeln.
    Er nahm ihre Hand und sagte: „Ich fühle mich so machtlos.“
    „Du bist immer noch Präsident.“
    Er lachte rauh. „Was das auch heißt. Es fühlt sich beschissen an, Präsident zu sein, und doch nichts tun zu können. Ich komme mir vor wie ein Drückeberger.“
    Sie erreichten einen kunstvollen Springbrunnen, das Mitbringsel des griechischen Ministerpräsidenten zur Einweihung der Regierungsvilla. Das Wasser umsprühte die von einem Satyr gejagten Nymphenfiguren. Wind strich vorbei und verwandelte das Sprühwasser des Brunnens in einen gazeartigen Vorhang.
    „Ich weiß genau, was du meinst“, sagte Monterrey nach einer Weile.
    „Das Warten macht mich rasend.“
    „Ich weiß.“
    Sie drückte seine Hand.
    Die Abendstimmung hing transzendental zwischen Tag und Nacht. Die Vögel verstummten. Eine Böe rollte über das Gras. Es war wie ein Ausatmen.
    „Aber ich muß irgend etwas tun“, sagte Berg. Er rieb sich die Stirn.
    „Wieder Kopfschmerzen?“, fragte Monterrey. Berg nickte.
    Sie überlegte:
aber was tun?
Als Marshall der Vereinigten Generalität war Paul Blaskowitz für die Strategische Verteidigungsinitiative (SVI) zuständig. Selbst zu nachtschlafender Zeit saß er über dem Index der Verteidungselemente, ohne ansatzweise zu verstehen, womit er es zu tun hatte. Seine

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