Kairos (German Edition)
Mühen waren Sisyphusarbeit, für Monterrey luftige Theorien, die nichts einbrachten. Alle wußten, wenn die Shumgona Terra erreichten, würden sie die Menschheit auf jeden Fall mit heruntergelassenen Hosen vorfinden.
Dennoch, das Strategische Oberkommando stand auf Verteidigungsbereitschaft Beta, die für Friedenszeiten höchste Alarmstufe. Reservisten waren einberufen worden. Bunker wurden bezugsfertig gemacht. Die Denkfabriken und Superhirne der Eliteuniversitäten brüteten fieberhaft über einer Strategie. Das schwarze – außerdienstliche – Departement für ›Angewandte Wissenschaften‹ hatte grünes Licht für alle je erwogenen Rüstungsprojekte bekommen. Die Leiter aller der Regierung untergeordneten Dezernate beschäftigten sich ausschließlich mit der Invasion. Joel Andres’ Katastrophenschutzbehörde etwa entwarf ständig neue Pläne für unionsweite Zivilschutz- und Räumungsmaßnahmen, die Aufstände verhindern und die Grundversorgung sicherstellen sollten. Auch für die Villa bestand ein Notevakuierungsplan.
„Zuletzt war ich hier mit...“ Bergs leise Stimme. „... Markevitch. Gleich nach den Präliminarien, die bereits so zäh waren, daß uns beiden nach und einem kleinen Spaziergang war. Und einem Schluck Slibowitz aus Markevitch’ Flachmann.“
Widerwillig schmunzelte Monterrey. Sie erinnerte sich natürlich. Oberst Ilja Markevitch. Rußlands Präsident, ein schrulliger Neo-Bolschewik. Es war vorletzten Juli gewesen und um die inzwischen eisfreie Arktis gegangen. Um ein Haar hätte es damals einen neuen Ressourcenkrieg gegeben...
Krieg.
Rings schlich weiter die Nacht heran.
Berg sagte: „Du hast diesen sturen Moskowiter ziemlich aus der Reserve gelockt mit deinen Bemerkungen über das ... ›repressive post-kommunistische System‹.“
Sie grinste bei der Erinnerung.
„Nastorovje“, sagte Berg augenzwinkernd und meinte dann ernst: „Diese Verhandlungen waren die zweitschlimmsten in meinem Leben. Nur übertroffen von jenen mit einer Person.“
„Und zwar...?“
„Meiner Exfrau.“ Er lachte schwach.
Sie nicht.
Er blinzelte. „Verzeih mir den Scherz.“
„Ich muß. Du bist der Präsident.“
„Richtig“, sagte er. „Ich darf tun und lassen, was ich will.“
„Darfst du nicht“, sagte sie, kaum hörbar.
Später saßen sie auf einer gußeisernen Bank vor der Statue eines toten Politikers. Die Quecksilberdampfleuchten spendeten schwaches, bernsteinfarbenes Licht. In der Nähe pfiff ein Nachtvogel in einem Baum.
„Julie, ich habe nachgedacht“, sagte er, sich die Schläfen massierend. „Was, wenn keine Hilfe kommt?“
Sie wappnete sich. Diese Frage hatte sie befürchtet. Sie blieb stumm, überlegte ihre Optionen. Sie waren begrenzt. Sie könnte lügen, die Wahrheit sagen oder schweigen.
„Das kommt darauf an, was wir wollen, nicht wahr?“, sagte Berg aus dem Dunkel.
Ihr Nacken versteifte sich. Und dann sprach sie es aus. „Aron, du mußt die Bürger endlich informieren.“
Er starrte lange vor sich hin. „Und wozu sollte ich das tun?“
„Eine Panik wäre-“
„Panik gibt es immer, ganz gleich, was ich tue.“
„Wir können die Menschen nicht die ganze Zeit im Unklaren lassen.“
„Julie“, sagte er erschöpft, „das hatten wir schon. Ich will nicht dauernd darüber streiten.“
Sie schloß kurz die Augen und preßte die Lippen zusammen. „Mir liegt auch nichts an Streiten. Ich meine nur, daß...“
„Ich weiß genau, was du meinst.“
„Du willst so weitermachen“, sagte sie. „Ich kann das nicht begreifen.“
Er senkte den Kopf.
Sie beugte sie vor, suchte Blickkontakt. „›Das Volk der Som´ai ruft die Menschen auf, endlich ihre Konflikte zu beenden und der kosmischen Gemeinschaft beizutreten‹? Was soll das heißen, Aron, das ist doch absurd.“
„Carrie hielt es für gut.“
„Was deine Redeschreiberin sagt, interessiert mich nicht.“
Er sah sie ausdruckslos an. „Pressesekretärin.“
„Es ist falsch.“
Er blickte in ihre Augen. „Und deine Lösung des Problems? Verrate sie mir.“
Sie überlegte fieberhaft, aber so sehr es sie ärgerte, ihr fiel nichts ein, das sie hätte erwidern können.
„Die Sache ist“, sagte Berg, „du hast keine, wie sehr du es dir auch wünscht. Du folgst auch jetzt starr deinen Prinzipien. Gut vielleicht in Zeiten, die einem sonst nichts abverlangen. Ich halte es angesichts der neuen Situation schlichtweg töricht.“ Zuletzt hatte er laut geredet. Leiser fuhr er fort: „Was würde
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