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Kairos (German Edition)

Kairos (German Edition)

Titel: Kairos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gallo
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Nazma ihm eine Geschichte als Sprachnachricht schicken. Ihr inneres Selbst schrie:
Nein! Tu’s nicht. Vergiß ihn. Geh weiter!
Nazma hörte zwar hin, aber nicht zu.
Schön. Mach nur weiter,
seufzte die Stimme und verschwand. Nazma war es egal. Ihre Angst vor dem Alleinsein war größer.
    Sie stellte sich vor ihr Bücherregal und griff zielsicher zu.
Ambrose Bierce: Horrorgeschichten
. Nazma schlug die Ausgabe dort auf, wo eine Rupiennote als Lesezeichen steckte.
Jenseits der Mauer.
Eine tolle Geschichte mit Atmosphäre. Corey würde sie hören und verstehen. Hoffte sie.
    Sie sah in den Spiegel, in ihre Augen, in denen müder Kummer stand. Dann sah sie in ihr verschlossenes Gesicht. Und da blickte sie direkt in ihr Inneres, ihr Zentrum, beherrscht von Einsamkeit und Disharmonie.
    Sie mußte Tränen zurückhalten, als sie aus dem Zimmer, über den Flur auf die Straße lief.

25
    Sein Tag begann mit einer träge quäkenden Gongfolge aus dem Lautsprecher über der Tür. Als Corey erwachte, war es bis auf das fahle Notlicht dunkel im Raum. Dann schossen die Jalousien hoch, und Licht flutete herein. Alle stöhnten auf. Corey, für einen Moment noch die Augen geschlossen, rollte sich herum, fühlte das Prickeln auf seinen Lidern und sonnte sich in dem orangenen Brennen auf seiner Netzhaut. Es roch nach Morgenmief und Sommerhitze. Corey streckte, räkelte sich, schlug die Augen auf ... und sah direkt auf Kaolins Hinterteil. Sie bückte sich gerade, um sich eine Tennissocke anzuziehen. Corey grinste, sah weiter hin – bis die Tür ausgestoßen wurde, ein Kerl, klein genug für einen Napoleon-Komplex, aber mit Oberarmen wie Schiffstrossen sowie in Drillichanzug und mit den Ranginsignien eines Ausbildungsunteroffiziers eintrat und donnerte: „So, Leute! Wie wäre es mit etwas Ruhe! Und jetzt Tempo, ihr Möchtegern-Luftakrobaten, Tempo!“
    Arkadi Kulov.
    Der Mann war imposant – um nicht zu sagen: furchteinflößend. Er stand in seiner Camouflageuniform da wie ein Turm mit Bürstenhaarschnitt. Seine soldatisch stramme Haltung setzte sich bis in die deutlich sichtbare Nackenmuskulatur hinein fort. Seine Augen starrten hart und kalt.
    Fraglos, mit diesem Mann war nicht zu spaßen.
    Corey, wie von der Feder geschnellt, schoß aus dem Bett, undalle sahen unter seinen Shorts die Erektion.
    Kaolin feixte hinter vorgehaltener Hand. Kulov fackelte nicht und warf sie hinaus.
    „Du, Name!“, schrie er.
    „Corey Homme.“
    „Corey Homme,
was
?”
    „Corey Homme,
Sir
!“
    „Und du kommst woher?“
    „Vereinigtes Königreich, Sir. Schottland. Edinburgh. Sir.“
    Kulov trat näher, so nah, daß Corey das Netz feiner roter Äderchen auf dessen Knollennase sehen konnte.
    „Homme ... Hm. Hugenottenname?“
    „I-ich weiß nicht genau. Äh, Sir.“
    „Solltest du aber. Okay, Homme, hör zu: Besser, du fängst gleich an, die Regeln zu beachten. Ich möchte Himmeldonnerwetter noch mal nicht, daß jemand mit so etwas hier herumläuft.“
    Corey wußte, was Kulov meinte. „Ja, Sir.“
    Kulov lächelte auf beleidigende Weise. „Und jetzt raus mit dir, Schotte, Marsch!“
    So begann es.
    Zunächst wurden sie untersucht. Man entnahm ihnen – vorwiegend, um frühere Krankheiten zu bestimmen – Speichel, Urin, Blut und Hirnwasser. Sie erstellten einen umfassenden Bioscan, untersuchten das Nervensystem, die Organe, den Kreislauf, die Muskeln und das Skelett. Ein Untersuchungsfeld wog und vermaß jeden einzelnen binnen eines Augenblickes und führte in dieser Spanne mehr als fünfzig Tests durch. Alle mußten mit Elektroden versehen auf Laufbändern oder beim Circuittraining schwitzen. Dann folgte der Epikutan- und Vitalkapazitätstest (sie bliesen blaue Luftballons auf, bis sie platzten, und pusteten dann in einen Apparat von der Größe einer Orgel). Als ›Trophäe‹ winkte ihnen der Eignungsbescheid mitsamt Tauglichkeitsbescheinigung der Militärärzte und -psychologen.
    Es folgten Fragen über Träume, Abstammung, Lebenswandel sowie religiöse und politische Denkart. Es galt herauszufinden, wie jeder einzelne auf Streß oder Langeweile reagierte, ob ein Anwärter unter Höhen-, Platz- oder sonst einer Angst litt. Danach jagte Kulov sie durch den Drillparcours, dann folgten weitere Belastungstests.
    Der Körper war wichtig, der Geist, weil er schwerer zu formen war, wichtiger. Multimathe, Physik, Trägheitsgesetze, Aerodynamik, noch mehr Mathe. Alles Dinge, bei denen Corey im Großen und Ganzen gut abschnitt.
    Die erste Woche

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