Kairos (German Edition)
Sternen träumte.
26
Als der Präsident mit einer vorbereiteten Erklärung in der Hand den Nordflügel der Regierungsvilla betrat und den mit dickem blauem Teppich ausgelegten Gang zum Podium entlang schritt, erhoben sich die Presseleute von ihren Sitzen, zugleich sie ihn mit einem Ausdruck musterten, der Argwohn ebenso barg wie Neugier.
Etwas abseits standen Rufus Bals und Julie Monterrey und sahen Berg auch so an.
Der erreichte das Pult, stellte sich den vor ihm schwebenden Kugelkameras mit den roten Aufnahmelichtern. Das Blitzlichtgewitter ebbte ab; die Kugelkameras zogen sich zurück.
Berg warf einen Blick auf seinen Handzettel. Seine Gedanken schweiften ab. Er schwieg noch einige Augenblicke. Kurz schaute er die von Sicherheitsleuten bewachte Freitreppe zu der gut gefüllten Besuchergalerie hinauf, sah in die Augen eines hageren Schwarzen, dann in die erwartungsfrohen Gesichter der versammelten Bürger; dann zerriß er die Erklärung und schritt hinter dem Rednerpult auf und ab. Er massierte seine Stirn. Seine Schläfen pochten. Er glaubte, sein Hirn müßte bersten.
Raus aus meinen Gedanken.
Nein, Berg-Präsident.
Er wußte, daß mit ihm etwas nicht stimmte. Aber er war machtlos. Andere Kräfte bestimmten jetzt. Er setzte ein unsicheres Bühnenlächeln auf, aber sein Blick blieb hart. Die Presseleute musterten ihn weiterhin ebenso irritiert wie wißbegierig.
Bals tauschte mit Julie Monterrey einen besorgten Blick.
„Ich fürchte“, begann Berg dann mit gedämpfter Stimme, „daß ich, nachdem Sie gehört haben, was ich Ihnen zu sagen habe, heute abgesetzt und morgen gelyncht werde.“ Er holte tief Atem und stieß ihn als leises, rauhes Lachen wieder aus.
Unruhiges Gemurmel. Wie ein müder Lehrer hob Berg, um Ruhe zu erbitten, sachte die Hand. Er schwankte sichtlich.
„Ich denke, jemand von Ihnen spielt Schach?“
Niemand sagte etwas. Alle wußten, daß in der Folge etwas anderes aufs Tapet kommen würde, als eine Lektion über ein Taktikspiel – etwas ganz anderes.
„Nun, es ist so: Schach – und die Frage, um die es geht, lautet: Was tun, wenn der eigene König bedroht und wehrlos ist? – Um das Spiel noch zu gewinnen, muß er alles riskieren.“ Seine Hände massierten immer wieder seine Schläfen. Sein Kopf ruckte merkwürdig hin und her. Fahrig fuhr er fort: „Die Sache ist, wir stecken in der größten Partie aller Zeiten. Und die Chance, sie zu gewinnen, ist verschwindend klein.“ Er straffte sich räuspernd; seine Stimme wurde fester.
Wer seid ihr?
Wir sind hier.
„Nein. Nein; ich will das nicht...“ Er schlug sich selbst auf den Schädel.
Wir sind stark.
„Nein!“
Die Zuschauer erschraken. Monterrey und Bals waren alarmiert. Berg fing sich scheinbar. Seine Haltung wurde sicherer, stabiler. Aber sein Blick war mit einem Mal starr, wie gläsern. „Meine Damen und Herren...“
Seine Stimme...
, dachte Monterrey besorgt.
„Ich habe Neuigkeiten für Sie, Sie alle...“
Dann gerieten die Dinge rasch außer Kontrolle. Plötzlich stand einer der Gäste auf der Galerie ungelenk auf, ein großer Schwarzer mit kurzem Afrohaarschnitt und dicken Sonnengläsern, überwand die gläserne Trennscheibe und sprang hinab auf den Boden des Presseraumes. Besuchern wie Reportern entfuhr ein Aufschrei. Man nahm gemeinhin an, der Kerl würde sich bei einem Sprung aus solcher Höhe die Beine brechen. Tatsächlich blieb er nur kurz auf dem Teppich liegen, um dann ruckartig aufzustehen und auf Berg zuzugehen. Er näherte sich dem Rednerpult mit steifen, ungestalten Schritten, aber unheimlich schnell. Sich der Sonnenbrille entledigt, hob er beide Arme und zeigte seine Handflächen Berg. Der hatte aufgehört zu sprechen und betrachtete ihn konzentriert. Aber nicht erstaunt oder ängstlich. Nur wachsam.
Julie Monterreys Blick verriet Sorge. Sie trat vor. Bals blieb noch ruhig, beobachtete alles genau.
Die Sicherheit, grimmige Männer mit schwarzen Anzügen und Ohrhörern, trat in Aktion. Ihr Chef, Andrea Bosetti, ein ehemaliger Bersagliere, sprach im Vorstürmen in sein Mikro: „Bosetti spricht: wir haben einen Eindringling, wiederhole: nichtautorisierte Person in Bereich Null. Mündel in Gefahr.“ Leiser: „Bosetti an Technik. Störsender aktivieren. Ich will, daß kein Signal mehr nach draußen dringt,
capisce
?“
Die Pressevertreter erstarrten auf ihren Plätzen, als sie sahen, wie Bosettis Leute ihre Dienstwaffen zogen, sich blitzschnell verteilten und um den Mann Stellung bezogen. Es
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