Kairos (German Edition)
recht.“
„Exakt.“
„Wenigstens renne ich nicht wie ein Pappaufsteller herum und flüchte mich ständig zu irgendwelchen aufgetakelten Tussies und betreibe den ganzen Tag nichts als Campustratsch und Lästereien.“
„Aufgetakelt?“
„Dein Berufswunsch lautet wie? Neo-Hipster?“
„He, leck mich!“ Judith machte einen festen Schritt auf sie zu. Die Eindringlichkeit, mit der sie Sarah-Jem nun ansah, kam einer direkten Drohung gleich. Dann atmete sie tief ein und aus. „Weißt du, Kind“, sagte sie honigsüß, „du bist es nicht wert, daß man seine Zeit mit dir verbringt.“ Damit wandte sie sich Nazma zu. Sarah-Jems Mimik sagte:
Ich verstehe solche Menschen nicht. Das ist so dämlich. Ich verstehe
dich
nicht.
Nazma sah weg.
„Jetzt sag: was von Corey gehört?“, fragte Judith.
Sarah-Jem verdrehte die Augen, murmelte: „Es ist sinnlos.“ Sie ging.
„So long, Schleimscheißerin!“, rief Judith ihr nach. „Dachte schon, wir würden sie nie los.“ Sie wiegte den Kopf. „Dabei ist sie nur neidisch; könnte sie glatt erwürgen, das Biest.“ Sie betrachtete Nazma von der Seite. „Jetzt zu Corey: hast du was gehört, oder nicht? Ich meine, wegen der Voicemail.“
Nazmas Blick folgte dem Judith’, der noch immer auf Sarah-Jem zielte, die sich durch die Menschen zum Ausgang wühlte.
„Oder nicht, Jude“, antwortete sie kraftlos.
„Ich schwöre, daß wird ihm leid tun, und zwar gewaltig, schamloser Scheißkerl.“
Ich will das nicht,
dachte Nazma plötzlich mit wachsender Trübsal.
Ich will das alles nicht.
Aber all dies geschah.
Letzte Sandkörner rannen durch das Stundenglas.
29
„Wer wünscht etwas?“, fragte der Mann hinter dem Holztor.
„
Komban-wa
. Eiko Sakaguchi.
Kudasai
, ich bitte um Einlaß in das erlauchte Haus, Miya. Ich möchte zum Schrein von Izumo. Bitte, ruf Kannushi Tsubokawa. Er erwartet mich.“
Der Mann nickte. „
Hai.
“
Und Izumo in der Provinz Schimane, gelegen nahe Matsue am Japanischen Meer, beherbergte in seinen Hallen einen der bedeutendsten Shinto-Schreine Japans. Eiko folgte der Religion des Erlebens von Natur und Seele, des
Kami no michi
, dem ›Weg der Gottheiten‹. Tsubokawa war ein Priester, ein
Kannushi
, und Eiko vertraute ihm mehr, als den meisten anderen Menschen. Sie war gekommen, um sich zu verabschieden. Von Tsubokawa, Japan, der Erde, ihrem alten Leben...
„Eiko“, sagte Tsubokawa, als er sie sah. „Mein Herz ist der Flügel des Kolibris, wenn er fliegt.“ So war ihr
Kannushi
: wallendes Gewand, üppiger Bart, hochgestecktes Haar, leichtfüßiger Gang.
Sie lächelte, verbeugte sich und sagte erleichtert: „
Kannushi.
Ich danke dir.“
„Du hast also zurückgefunden. Nach Izumo.“
Sie schlug den Blick nieder. „
Hai
. Es ist schön, hier zu sein.“
„Es ist lange her,
Tendai
. Nun. Wir wollen meditieren. Meditieren und schweigen.“ Er kicherte leise und ging los, in die Haupthalle mit den betenden
Geishas
, bemalten Holzskulpturen und dem Schrein. Eiko folgte ihm.
Als das
misogi harai
, die geistige und körperliche Reinigung, beendet war, fühlte sie sich so wohl wie lange nicht. Sie hatten die Rituale gebetet,
Norito
, und
Kagura
getanzt. Sie waren dem ›Göttlichen göttlich gefolgt‹.
„
Kamu-nagar
“, hauchte Eiko, und Tsubokawa sagte nickend: „Dein Geist ist nun erfüllt von Amidas Barmherzigkeit.“
Sie saßen im Garten an einem Teich und tranken Tee. Die Nacht brach herein. Vom Meer wehte ein steifer Wind.
„
Kannushi
, ich … habe Angst.“
„Vor dem, was kommt? – Aber die Furcht existiert nicht. Nur das Endliche in dir empfindet sie. Das Ewige kennt keine Furcht. Nur das Ungöttliche in dir sagt: spüre sie. Verstehe sie.
Erleide
sie.“ Er sah in den wolkenverhangenden Nachthimmel. „Es irrt.“
„Aber ... ich habe so viele widerstreitende Gefühle...“
„Du meinst darüber, wem deine Liebe gilt?“
„Nun ja, unter anderem.“
„Es sind
deine
Gefühle. Du bist es, der sie ruft und wieder gehen läßt. Sie gehören dir.“
Sie schwieg. Schließlich sagte sie: „Ich werde eine weite Reise tun.“
Er nickte. „Der Allbuddha wird dich begleiten.“
„Was erwartet mich?“
Er schwieg zunächst, rührte mit einem Stock im Teich und betrachtete die Algen, die sich um ihn wickelten. „Fern vom Meister kann niemand mehr recht die Tiefe der Weisheit des Buddhas verstehen. Wozu die Menschen noch fähig sind, ist allein, an den Buddha zu glauben. Dies ist das
Honen Schonin
. Glaube,
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