Kairos (German Edition)

bersten; sie ist schnell; der mondbeleuchtete Sand unter ihren Füßen wirbelt blitzend zu einer Welt ohne Anfang und Ende –
    – Rufus Bals sinkt vor seiner Frau in die Knie; der große Mann beugt sich zu ihr, lehnt den Kopf an die Armlehne ihres Sessels und nimmt ihr Kinn in die Hand, hebt ihren Kopf empor; sie sehen sich an; Bals denkt an die Strecke von der Erde zum Adler und wendet sich um und sieht Eiko, die all dem irgendwie beiwohnt; Lichter zerfließen, Wahrheiten verschmelzen; er küßt seine Frau; das Leben ein perfekter Augenblick; Tod ist der Wahn eines sterbenden Hirns, denkt Bals, ganz versunken in dieses fegende Gefühl –
Leb wohl
– alles endet in einer Überdosis, als archaisches Relikt der Hirnchemie; man träumt die Wirklichkeit, sieht das andere Ufer, er weiß es –
Stirb nicht
; seine Frau will etwas sagen, er stoppt sie mit einem Kuß; er weiß, er existiert, dieser unauslotbare Ozean –
    – Galdeas Herz, ein gefrorener Fluß; unter dem Eis treiben Knospen, doch sie läßt das Eis fest; ihre Gedanken springen fliegen schweben sinken; ihr Fühlen birst in Fragmente, die um ihr Zentrum wirbeln und langsam sich zerstreuen, untermalt von den Rhythmen der Zeit; Galdea will die Welt fassen, sich versöhnen, im Licht sitzen, wenn es draußen stürmt; Verlust echot es, wobei das allseitige Chaos sich ihr öffnet und sie den Wunsch verspürt, den Drang, daraus Ordnung zu schöpfen –
    – In der
Gaia
neigt Enriqu den Kopf diesem Trichter hin, der ihn an seinen Gott bindet; und er betritt diesen Raum und weiß: dies Blau faßt mein Herz; das
Rak´shasa
existiert; Enriqu-Erwählter lächelt Eiko-Erwählte zu, wissend und leidend, doch erleichtert; Eiko weicht nicht, sie lächelt; Enriqu murmelt etwas; ihr Empfinden klärt sich: ›Wir haben unsere Zukunft erlebt, ehe wir hierher kamen‹; Eiko versteht das Lieben als wahre Natur, verstoßen von den Irrungen geistloser Dinge, die durch die Vakuen rollen, zu Nichts werden; und mehr kann sie nicht tun, nur sich wundern –
    – Ein junger Mann mit typisch angelsächsischer Stupsnase, Lederjacke, Shirt und Bluejeans; er liegt da, starrt ins Nichts; sein Selbst wandelt wie ein Geist losgelöst von der magischen Staffage, die die Welt uns bietet; er trauert, in erster Linie um sich selbst, um einen Traum, schlüpft in die alten Zerrbildern aus Schuld, Abkehr, alten Versprechen; eine Frau mit langem, schwarzem Haar, das in einen wedelnden Zopf geflochten ist, taucht kurz in ihm auf; er schuldet ihr etwas, so viel mehr, als er ahnt und geben kann, jetzt oder jemals – ; er schüttelt alles ab, es ist vorbei; Phantomstimmen, in ihm, um ihn, sie wispern Dinge wie: ›Geh – und komm nie wieder‹; ›Du hattest Ambitionen‹; ›Ich versuche bloß, dich zu verstehen‹ ... er spintisiert, entdeckt Altes neu, folgt den Bruchstücken der Spektren, wie sie ihn erschließen; es nimmt kein Ende; er aber, er sehnt ihn herbei, den Nachteinbruch –
    Der Trip ging weiter. Seine Erfahrungstiefe war gewaltig. Ein steter Quell an Formen, Worten, Weisungen, von Gesichtern im Wandel. Edle Gespenster, umhüllt von den Echos irdischer Elemente:
    Ein Kind, sein Hund, ein – glaubte sie – Irish Setter, und schottische Wälder im Regen; der Junge und sein Freund, wunderbar dieses Einander-Lieben, Über-sich-Hinauswachsen; Zeugen der ersten Sonne, folgen sie auf verschlungenen Wildpfaden der Spur des Träumers; aus dem Wald wabert der Duft von Harz; sie wittern den Geruch der Luft vor dem Sturm – unsere lauschende Eiko weiß: es ist die innerste Form der herrschenden Kraft im entfesselten Kosmos; sie spürt Wind und Sonnenlicht durch die Höhen auf die Böden fallen, sich wieder emporschwingen und auflösen im Großen Vergessen; Zeit ist nichts; Eiko, flüsternd, schickt ihnen ein ›Ich glaube an euch‹, dem Älteren, Weiseren ein ›Beschütze ihn um jeden Preis‹
    Warum? Weil sie es kann – dies alles.
    Und noch mehr.
    Sie öffnete die Augen. Der Jetliner hing am Atmosphärenrand. Als Eiko die Augen wieder zumachte, waren der Hund und der Junge und all die anderen nicht mehr da. Ein Flimmern von Gedanken, von
    (Sayounara altes Leben)
    Zeichen & Erinnerung – bis es auch fort war.

Das Gebilde fällt in den Normalraum.
    Zuerst visuelle Effekte wie Schrammen auf rußigem Glas. Ein Schatten wächst vor Sternkonstellationen, daraus entsteht eine kolossale Pilzwolke inmitten eines rollenden, artifiziellen Dunkelnebels.
    Navigatorische Neuberechnungen starten.
    Das