Kaiser des Mars
um eine mühsame Rekonstruktion, wie man sie für Museen manchmal macht. Die abgewetzten, verblichenen, alten Teppiche waren hell und neu gewesen, ehe man Babylon erbaut hatte; die Fliesen, die den Boden bedeckten, waren angefertigt worden, ehe Ägypten aus der Jungsteinzeit hervortrat. Die Inschriften an den Marmorwänden waren in einer Sprache, die so uralt war, daß kein Lebender sie lesen konnte. Der Duft von Weihrauch, der vor Zehntausenden von Jahren verbrannt worden war, schien noch in der Luft zu hängen.
»Junge, das ist phantastisch! Eine lebende Stadt, nach all der Zeit noch bewohnt! Meine Kollegen würden vor Eifersucht wahnsinnig werden, wenn sie wüßten, daß ich hier bin. Le Corbeiller würde ein Jahr seines Lebens darum geben … Und bei allen Göttern – wir sind auf der richtigen Spur!«
»Was meinen Sie damit?«
»Den Schatz natürlich. Haben Sie diese schwarzen Obelisken nicht gesehen, die das Stadttor säumen?«
Ich zuckte die Schultern. »Doch, ich habe sie gesehen. Aber mir ist nichts Außergewöhnliches an ihnen aufgefallen. Warum?«
»Die Inschriften, mein Junge! Wollen Sie behaupten, Sie seien daran vorbeigeritten, ohne sie zu lesen?«
Ich nickte.
Er beugte sich ganz nahe zu mir heran.
»Dem Himmel sei Dank, daß wenigstens einer von uns sich seinen Verstand bewahrt hat!« lachte er. »Wir sind langsam genug durchgeritten, daß ich sie übersetzen konnte – grob natürlich nur – aber das Wesentliche habe ich erkannt.«
Seine Stimme wurde noch leiser. Sie war jetzt nur noch ein ehrfürchtiges Flüstern. Er wiederholte die Schrift:
»›Hier steht Farad, das die Straße nach Ilionis bewacht, das Tor der Götter.‹«
Und ich glaube, in diesem Augenblick überkam mich ein seltsames Ahnen …
An diesem Abend gab der Fürst zu unseren Ehren ein Festmahl. Lord Kuruk kam in unsere Zimmerflucht und brachte uns allen zeremonielle Gewänder. Meine Begleiter würden die blauen Kleider von Gästen tragen; aber für den Jamad gab es andere Kleider.
Kuruk klappte eine Truhe aus duftendem Weinholz auf und holte sie vorsichtig, ja geradezu ehrfürchtig heraus.
»Die Königinnen von Farad haben sie vor mehr als tausend Generationen gewebt«, sagte er, »als die Welt noch jung war.«
Ilsa hielt den Atem an.
Die Roben trugen in höchster Feinheit eingewebte Szenen aus dem Buch der Könige; ein Gewebe, so fein, daß das Auge kaum die einzelnen Knoten ausmachen konnte. Sie bestanden aus königlicher Seide in so lebhaften und kräftigen Farben, daß man es sich einfach nicht vorstellen konnte, wie alt sie waren.
Jedes Museum im ganzen Sonnensystem hätte ein halbes Dutzend Rembrandts dafür gegeben; es war ein Wunder, ein phänomenales Kunstwerk.
Und ich sollte es zum Abendessen tragen!
Kuruk verbeugte sich und ging. Wir wuschen uns den Reisestaub ab und begannen uns vorzubereiten.
Ilsa schauderte. »Sie hassen uns so sehr! Ich sah es in ihren Augen, als sie uns hierher begleiteten. Alle außer Ihnen … sie lieben Sie … Aber Sie sind auch ein Verhaßter!«
»Das war ich einmal. Jetzt bin ich der Jamad.«
Sie musterte mich prüfend. »Das bedeutet doch ›Kaiser‹, nicht wahr?«
»Mehr oder weniger. Gottkönig oder Priesterkönig, so etwas Ähnliches. Etwa wie Papst und Kaiser in einer Person. Sie müssen wissen, die Völker des Mars sind in neun große Clangruppen geteilt, die sich häufig bekriegen. Nur in ihrer Verehrung des Jamad Tengru sind sie vereint. Ich bin gleichzeitig weltlicher Monarch und geistiger Anführer; und das Geistige kommt daher, daß sie in mir die Inkarnation all der Jamad Tengri sehen, die vor mir seit Anbeginn aller Zeiten regiert haben …«
»Aber nicht ohne Grund«, meinte Ilsa.
Ich nickte widerstrebend; ich sprach nicht gern von diesen Dingen.
»Die Eiserne Krone«, sagte ich. »Sie haben die großen Kristalle darauf gesehen. Nun, das ist eine Art von Gedankenaufzeichnungen. Eine Gedankenaufzeichnung wie die, die Ihr Großvater fand, ist ein papierdünnes Gebilde aus metallischem Kristall, unzerstörbar und für die Ewigkeit gemacht. Die Kristalle der Krone bestehen aus derselben Substanz, haben aber die tausendfache Kapazität.«
Man sah ihr an, daß sie kein Wort verstand.
»Jeder Jamad trägt die Krone im Rat oder wenn er auf dem Thron sitzt oder wenn er Recht spricht. Die Krone ist auf seine Gedanken abgestimmt, und die Kristalle zeichnen auf, was in diesen Augenblicken der Entscheidung in seinem Bewußtsein vorgeht. Wenn ein Jamad stirbt,
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