Kaiser des Mars
Mars, in dieser kalten, trockenen Luft, auf einem Planeten, wo wir nur einen Bruchteil unseres normalen Gewichtes wogen, waren wir zwar müde, aber es war nicht so anstrengend, wie es auf der Erde hätte sein können.
Während einer solchen Rast wies uns Dr. Keresny auf ein weiteres Geheimnis hin.
»Haben Sie die Wände des Schachtes beachtet?« fragte er. »Wie auch immer dieser Schacht entstand – das war kein Naturereignis, das ist keine Kaverne, die von geologischen Kräften ausgehöhlt wurde.«
Er hatte natürlich recht. Der Schacht war vierseitig und die Wände selbst glatt und regelmäßig. Viel zu glatt und regelmäßig, um das Werk der Natur sein zu können. Was das betrifft, viel zu glatt und regelmäßig, um von Menschenhand geschaffen zu sein! Wenigstens nicht von Menschen, die mit Werkzeugen arbeiteten, die ich kannte – und darauf wies ich ihn hin.
»Sie haben recht, mein Junge. Der Fels ist glatt wie Glas. Kein einziger Meißelschlag stört seine perfekte Regelmäßigkeit … wunderbar!«
Es war ein Wunder. Gleichzeitig war es auch ein wenig beängstigend. Ich konnte nämlich nicht glauben, daß natürliche Kräfte oder das Werk von Menschen diesen Schacht hätten aushöhlen können, der bis zum Grund der Welt hinunterführte.
Und damit blieb nur … das Übernatürliche.
War dieser Abgrund das Werk der Götter selbst gewesen, das Werk der Zeitlosen?
Aber das war natürlich Unsinn. Es gibt keine Götter.
Oder doch?
Ich hatte Ilionis für einen Mythos gehalten; aber wir waren durch seine Straßen gegangen und hatten die Gräber seiner lange vergessenen Könige betrachtet …
Ich hatte das düstere Yhoom für eine Legende gehalten, und jetzt stiegen wir in seine finsteren Abgründe.
Wenn zwei Mythen sich als wahr erweisen, darf man dann die Realität hinter einem dritten Mythos bezweifeln?
In die Unterwelt stiegen wir ab …
Als wir zu müde waren, um den Marsch fortzusetzen, schliefen wir, an die Wände des Abgrunds gedrängt, in unsere Schlafpelze gehüllt, und einer von uns hielt abwechselnd Wache.
Stunden später wachten wir auf, um unseren Weg fortzusetzen.
Hier gab es keinen Tag und keine Nacht, keine Sonne, um unseren Weg zu beleuchten, keine Monde, um in der Nacht zu glitzern. Und je tiefer wir gelangten, desto Sauerstoff reicher und wärmer wurde die Luft.
»Ivo, ich glaube, wir können jetzt diese verfluchten Masken abnehmen«, sagte Keresny zu mir. Ich ließ sie die Atemgeräte ablegen, und es schien ihnen nicht zu schaden. Ich konnte begreifen, daß die Luft in der Tiefe, die wir jetzt erreicht hatten, dicker und atembarer war. Und wenn im Herzen des Mars Hitze lauerte, so mußte es hier unten auch wärmer sein, und das war es auch. Tatsächlich begann es uns langsam beinahe unangenehm zu werden, so warm war der Abgrund. Wir lockerten unsere Thermoanzüge am Hals, und die Marsianer legten ihre schweren Umhänge ab.
Wir hatten keine Instrumente, um unseren Abstieg zu messen, noch konnten wir die Tiefe genau abschätzen, die wir jetzt erreicht hatten. Aber wir waren zweifellos tiefer unter die Oberfläche des Planeten vorgedrungen als vor uns irgendein Mensch.
Plötzlich kam mir ein amüsanter Gedanke, und ich grinste. Es würde mir kein Vergnügen bereiten, den ganzen Weg zum Tempel wieder zurückzuklettern! Vielleicht fanden wir eine Abkürzung …
Wir gingen hinunter, verloren mit der Zeit das Maß der Stunden, verloren jede Vorstellung von Tag und Nacht.
Ich stellte fest, daß meine Uhr stehengeblieben war. Das war eigenartig, weil die perlengroße Energiezelle sie eigentlich eine Ewigkeit betreiben sollte. Nicht, daß es sehr viel zu bedeuten hatte, denke ich; aber der Gedanke beunruhigte mich doch. Irgendwie war es eine Art Omen. Als hätten wir die Barrieren der Zeit überschritten.
Als stünden wir jetzt in der Ewigkeit …
Und dann kamen wir schließlich an einen Ort, wo keine weiteren Stufen mehr in die Tiefe führten.
Wir brauchten ein paar Augenblicke, das zu begreifen, denn wir waren inzwischen so daran gewöhnt, der weiten, endlosen, im Zickzack nach unten verlaufenden Treppe zu folgen, daß es uns schwerfiel, die Wahrheit zu erkennen.
Wir hatten den Grund erreicht.
Und standen an der Schwelle einer erstaunlichen Welt.
Zunächst wurden wir uns einer unbeschreiblichen Tiefe bewußt, als wären wir in den Kern des Planeten hinabgestiegen und spürten irgendwie das mächtige Gewicht all der Millionen Tonnen von Stein und Metall, die über uns
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