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Kaiser des Mars

Kaiser des Mars

Titel: Kaiser des Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lin Carter
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keine Flechten und kein Moos wachsen können, so daß der Weg trocken und sauber, nicht glitschig war. Nur wer nicht schwindelfrei war, hätte Angst empfunden, sich jener Treppe anzuvertrauen.
    Trotzdem hielten wir uns der Sicherheit halber an die innere Schachtwand und benutzten Seile, die wir mitführten, so, wie Bergsteiger sie anwenden, um eine lebende Kette zu bilden.
    Bolgov ging an der Spitze, ohne daß es dazu einer besonderen Vereinbarung bedurft hätte. Er war der Kräftigste von uns allen und bewegte sich sehr vorsichtig und beleuchtete jede Stelle mit seiner Lampe, ehe er den Fuß daraufsetzte.
    Und so traten wir den Abstieg an; draußen war der Tag fast zu Ende gegangen. Bald würde die Nacht sich mit schwarzen Schwingen über die alte Welt senken, deren tausend Geheimnisse wir erst zu durchdringen begonnen hatten. Aber ich bezweifle, ob in all den zahllosen Äonen, seit die erste Nacht über den ersten Tag der Schöpfung gefallen war, je ein Mensch eine geheimnisvollere Reise angetreten hatte.
    Bald lernten unsere Beine den Rhythmus und den Abstand der Treppe. Wir verloren alle Furcht vor dem Fallen oder dem Stolpern. Zuerst gingen wir mit übertriebener Vorsicht von Stufe zu Stufe und schoben uns mit den Schultern an der glatten Felswand entlang. Aber mit der Zeit wichen diese Ängste, und wir schritten etwas schneller und mit weniger Zögern aus. In Wahrheit gab es nichts zu fürchten. Die Treppe selbst war in das solide Felsgestein des Planeten geschlagen, und die Stufen waren breit genug, daß wir zu dritt nebeneinander hätten gehen können.
    Yhoom …
    Ich hatte es immer für einen Mythos gehalten. Die Unterwelt der Götter, die Region der Toten? Nun, jede Rasse besitzt in ihren Legenden eine solche Unterwelt. Da gab es die ägyptische Unterwelt von Amenti, in die Anubis die Geister der Toten führte und wo ihre Herzen auf der Waage mit der Feder der Wahrheit verglichen wurden, alles unter den strengen Blicken von Osiris und Thoth … und die schattenhaften Geisterländer von Sheol in den Mythen der primitiven Hebräer … der grimmige Avernus der Römer … der finstere Hades der Griechen … selbst das unterirdische Reich der Hel in den alten skandinavischen Sagen.
    Die Bemerkung des Doktors, der auf die Ähnlichkeit zwischen Ilionis und Babylon hinwies, ließ mich an die vielen Nationen denken, die in Mesopotamien gelebt hatten und von denen jede den gleichen Mythos der Unterwelt geteilt hatte. Ich erinnerte mich an die unterirdische Region der Toten, in die Ischtar abstieg, um den Geist ihres umgekommenen Liebhabers Tammuz zurückzugewinnen. Ebenso, wie die griechischen Mythen davon berichteten, wie Orpheus einst in die Düsternis des Hades abstieg, um von Pluto und Persephone die Freilassung seiner Braut Eurydike zu erbitten.
    Ich erinnerte mich sogar an das noch ältere sumerische Epos, das von der Göttin Inanna berichtete, die weinend in die Unterwelt von Na-an-gub hinabstieg, um den gnadenlosen König der Schatten zu bitten, ihren Geliebten wieder in die Oberwelt zu entlassen. Und dann kamen mir die Zeilen einer alten Übersetzung des sumerischen Epos in den Sinn, das ich vor vielen Jahren gelesen hatte:
     
    Von dem großen Oben in das große Unten,
    die Göttin, von dem großen Oben in das große Unten,
    Ischtar, von dem großen Oben in das große Unten,
    steigt ab.
     
    Während wir in die Finsternis hinunterstiegen, hallten die Verse des alten sumerischen Gedichts in meinen Gedanken nach.
     
    Aus dem Lande des Nichts in das Land der Finsternis,
    in die Unterwelt stieg sie ab …
     
    Schritt um Schritt stiegen wir in eine düstere Unendlichkeit hinunter, die nicht weniger fremd und furchtbar war als jene, in die die Göttin in dem alten Gedicht hinabgestiegen war. Und ich erinnerte mich, was sie am Ende ihrer Reise vorgefunden hatte.
     
    Die Dame gab den Himmel auf, die Erde,
    in die Unterwelt kam sie,
    in das dunkle Haus von Nergal,
    zu dem siebentorigen Palast.
     
    Vor dem Schattenthron kniete sie,
    und zu ihm, der darauf saß, sprach sie:
    »O Nergal, Herr der Finsternis,
    Prinz der Schatten, höre mein Anliegen.
    In die Unterwelt bin ich gekommen …«
     
    Und während ich in meinen Gedanken über die älteste aller Geschichten nachbrütete, schritt ich Stufe um Stufe in die Schwärze hinunter.
    Von Zeit zu Zeit hielten wir inne, um auszuruhen und etwas zu essen und unsere Kehlen mit Wasser anzufeuchten. Auf der Erde wäre unser Vorhaben sehr anstrengend gewesen. Hier, auf dem

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