Kaiserkrieger 2: Der Verrat
Er erwartete nicht, den jungen Mann jemals wiederzusehen, andererseits wusste man nie, welche seltsamen Fügungen das Schicksal bereithielt. Wer hätte gedacht, dass fremde Invasoren aus dem Osten die Goten aus ihren angestammten Landen vertreiben würden? Wer hätte gedacht, dass die Römer sie in ihrem Land aufnehmen und dann schmählich verraten würden? Wer hätte gedacht, dass die drei Völker bei Adrianopel ein großes römisches Heer bezwingen würden? Und wer hätte gedacht, dass sie ihre Niederlage von den Händen Reisender durch die Zeit empfangen würden, deren unsichtbare Waffen Hunderte, ja Tausende von ihnen niedergestreckt hatten, ohne dass ein Schwert gehoben worden wäre? Noch mehr Unwahrscheinlichkeiten fielen Fritigern ein und er tat die Gedanken ab. So viel war in so kurzer Zeit geschehen, niemand würde dies in späteren Epochen glauben wollen. Er konnte es ja selbst kaum wahrhaben.
Fritigern, der ehemalige Richter der Goten, saß weiter ruhig auf der Veranda des kleinen, ländlichen Anwesens, das ihm die Römer zur Verwaltung und als Sitz gegeben hatten. Mitglieder seiner Familie hatten begonnen, die Äcker zu begutachten und die Gebäude instand zu setzen. Die ehemaligen Besitzer waren durch die Hände der Goten gefallen, niemand hatte überlebt. Dies war Fritigerns Kriegsbeute, wie er es gerne nannte, und sie war klein im Vergleich zu dem, was greifbar nahe gewesen war.
Kein Grund, dem nachzutrauern. Fritigern, der Gote, war jetzt Römer. Bald würden die Beamten des Reiches kommen und auch unter seinen Männern Rekruten für die Streitkräfte suchen. Bald würden jene, die 40.000 römische Soldaten vor Adrianopel vernichtet hatten, römische Rüstungen tragen und den Heerzeichen folgen. Welch Ironie, doch recht betrachtet, nicht das erste Mal, dass es so geendet hatte.
Und war es nicht letztlich das, was sie sich erhofft hatten?
Der Richter war sich nicht sicher.
39
Es war nass, trübe und regnerisch, und doch wurden die Tage länger und die Hoffnung auf den Frühling erwachte. Godegisel rutschte auf seinem Pferd hin und her. Feine Rinnsale krochen seinen Hals und Nacken hinunter und ließen ihn unterdrückt fluchen. Der Weg, über den er Pferde und Wagen führte, war matschig und die Tiere kamen nur langsam voran. Seine Gefährten starrten ebenso missmutig ins Wetter wie er, ermüdet vom tagelangen Ritt und nicht zuletzt von der Unwägbarkeit dessen, wozu sie aufgebrochen waren.
Die Monotonie ließ den jungen Adligen zurückblicken, und so sehr er auch forschte, so wenig Genugtuung oder Zufriedenheit vermochte er im Geschehenen finden. Die Wunderwaffen der Zeitreisenden hatten gesprochen, und lauter noch, als er in seinen kühnsten Träumen hatte annehmen können. Der kleine Triumph, einen ihrer Führer getötet zu haben, hatte nicht lange angehalten. Es war gekommen, wie er befürchtet hatte, und nur die relative Milde und das erstaunliche Verständnis der Römer hatten das Schlimmste verhindert.
Und dann dieser Befehl des Fritigern, eine letzte Geste des Widerstands, eine letzte Saat der Zwietracht. Eine große Ironie steckte in Godegisels Mission und er versuchte, sie in Gedanken immer wieder auszukosten und zu verstehen, welch seltsamer göttlicher Ratschluss hinter alledem stecken mochte. Es war dort sicher etwas verborgen, ein Plan oder eine Absicht, doch sie zu erkennen überstieg das Verständnis des Goten. Die lange Reise auf verschlungenen, wenig benutzten Pfaden, die Einsamkeit suchend, hatte ihn sehr nachdenklich gemacht, fast zum Philosophen bekehrt. Er fühlte sich wie ein Spielstein, der von größeren Mächten hin und her geschoben wurde. Mal hatte er die Illusion, selbst Entscheidungen zu treffen, dann aber schaute er auf sich und seine Taten von höherer Warte und empfand plötzliches Verständnis für die griechischen Philosophen der Stoa, von denen er gehört hatte. Doch da war in ihm wieder dieses Gefühl, doch selbst etwas tun und bewirken zu können, eine Rolle zu spielen, Einfluss zu haben. Es war dieses plötzliche Aufblitzen in ihm, das ihn vorantrieb, und das ihn auch den Auftrag des Richters, der mehr wie eine Bitte vorgetragen worden war, annehmen ließ.
Und das, obgleich sein Ansinnen völliger Wahnsinn war und von völlig unwägbarem Ausgange.
Godegisel war auf dem Weg, ein Geschenk zu überbringen. Fritigern hatte diese Übergabe gut vorbereitet, Boten geschickt, Sympathisanten befragt, und doch war die Kommunikation so beschwerlich,
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