Kaiserkrieger 2: Der Verrat
sozusagen mit dem Kopf voran ins kalte Wasser zu springen und die Kooperation einfach auszuprobieren. Die wahre Bewährung aber würde ihr erster gemeinsamer Kampf sein. Taten waren meist überzeugender als Worte. Becker ging davon aus, dass sich die eigenen Verluste und Verletzungen in sehr engen Grenzen halten würden. Er war immer noch der Ansicht, dass es seine vorzüglichste Aufgabe war, dem Feind dazu zu verhelfen, für sein Vaterland zu sterben, anstatt es selbst zu tun. Bei den Goten, das musste er einsehen, war das etwas problematisch, da diese ihre Heimat verloren hatten und eigentlich angetreten waren, eine neue zu finden.
Der Marsch gen Osten brachte weitere Dinge zutage, die Becker eigentlich hätte erwarten müssen. Je länger die beiden Truppenteile marschierten oder ritten, desto mehr erlaubten die Offiziere es, dass sie sich vermischten. Und obgleich die Infanteristen Roms und des Deutschen Reichs viele Jahrhunderte trennten, erkannten die einfachen Soldaten trotz aller Verständigungsprobleme bald, dass sie über diese große Kluft das Los aller Infanteristen miteinander teilten: wunde Füße, ein zu schweres Bündel auf dem Rücken, gereizte Unteroffiziere, zu wenig Pausen, zu wenig Wein und zu wenig Schlaf. Becker sah es mit Freude, während Arbogast es eher mit Misstrauen zu betrachten schien: Aber es entwickelten sich aus dem Vergleich sehr schnell gegenseitiges Verständnis und Freundschaften. Und als am Abend, sobald das Lager errichtet war, die Würfelbecher hervorgeholt wurden, waren die Deutschen genauso schnell dabei, wie die Römer eifrig waren, die mitgebrachten Skatkarten verstehen zu lernen. Und die gemeinsam genossene Ration Wein – so sauer das Gesöff auch sein mochte – trug das Ihre dazu bei, eine rasche Einigkeit zwischen den Männern herzustellen. Schließlich waren es römische Dekurionen und Optionen und deutsche Wachtmeister und Feldwebel, die gemeinsam mit strengem Gesicht an den Lagerfeuern vorbeimarschierten und mit wachen Augen auf die sich vergnügenden Soldaten achteten, wahrscheinlich einig in ihrem inneren Lamento über ungehorsame Rekruten, blasse Bürschchen, unerfahrene Großmäuler und unverbesserliche Saufnasen. Auch hier stellte sich rasch ein oft stummes Verständnis ein, das auf der gemeinsamen Überzeugung beruhte, dass ohne Unteroffiziere die ganze Armee nicht nur wenig wert wäre, sondern auch die Herren Offiziere mit großer Wahrscheinlichkeit des Nachts nicht einmal ihren Hintern ohne Hilfe wiederfinden würden.
So richtete sich vieles von selbst ein und Becker war damit außerordentlich zufrieden.
Als sie nach mehrtägigem Marsch Griechenland erreicht hatten, empfing sie ein Bote des Flavius Victor, der nach ihren letzten Informationen nunmehr tatsächlich in Thessaloniki residierte. Er schien angesichts der neuen Entwicklungen von seinem ursprünglichen Ansinnen, nach Sirmium zu reisen, schnell Abstand gewonnen zu haben und hatte wohl darauf vertraut, dass Richomer, der Beckers Trupp ebenfalls begleitete, das Richtige tun und sagen würde. Becker hatte zu dem gedrungenen, immer etwas sarkastisch wirkenden germanischen Reiteroffizier schnell einen besonders guten Draht entwickelt. Richomer war etwa in seinem Alter und seine Ansichten über die verlorene Schlacht gegen die Goten sowie die grundsätzlichen militärischen Probleme des Reiches deckten sich weitgehend mit jenen, die Becker und Rheinberg nächtelang hitzig diskutiert hatten. Becker war mehr und mehr zur Erkenntnis gekommen, dass das Römische Reich im Westen nicht deswegen zusammengebrochen war, weil niemand die Probleme und Schwächen hatte erkennen wollen oder können, sondern weil möglicherweise falsche Entscheidungsträger mit irrigen Prioritäten zur falschen Zeit das Sagen gehabt hatten. So gesehen war der Tod Valens' eine Tragödie, auch wenn er sonst als Kaiser nicht allzu viel hergemacht hatte: In seiner Religionspolitik war er recht tolerant geblieben und hatte damit zwar den Zorn der westlichen Kirchenhierarchie auf sich gezogen, aber für eine Phase relativen Friedens in seiner Reichshälfte gesorgt. Zumindest daran, das wusste Becker, wollte sich Rheinberg ein Beispiel nehmen und all diese Dinge zu besprechen, war auch der Grund dafür, dass er im Lager des Kaisers zurückgeblieben war. Er hatte mit Becker besprochen, sobald der exakte Sammelpunkt feststand, die Saarbrücken dorthin zu verlegen. Mittlerweile musste auch Rheinberg wissen, dass der Treffpunkt Thessaloniki
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