Kaiserkrieger 2: Der Verrat
Fritigern ihn und bediente sich selbst reichlich vom Wein. Godegisel tat es ihm nach.
»Wir müssen mehr wissen«, sagte der Anführer der Goten schließlich. »Wähle zehn verlässliche Männer aus. Solche, die sich vor nichts und niemandem fürchten, die dem Teufel lachend in die Hölle voranreiten würden. Wir müssen mehr wissen.«
Godegisel sagte erst nichts, trank seinen Wein aus.
»Weißt du, was mich in diesem Moment am meisten ängstigt?«, fragte er schließlich leise.
»Sprich!«
»Hättest du mir vor einigen Tagen diesen Befehl gegeben, wären zwei der Männer, mit denen du eben gesprochen hast, unter diesen zehn gewesen und ich hätte geschworen, dass sie jeder Gefahr mit eiskaltem Blute begegnet wären.«
Fritigern schwieg, nickte dann, stellte seinen eigenen Becher ab.
»Dann suche die Verrückten, wähle von den Wahnsinnigen aus, denen mit absonderlichen Neigungen und krankhaftem Verhalten. Nimm zehn von jenen, um die alle sonst einen Bogen machen, in deren Gegenwart ein jeder das Kreuz zu den Lippen hebt oder den Kindern die Augen zuhält. Zehn, denen der lange Treck und die vielen Kämpfe etwas in ihrem Kopf genommen haben. Vielleicht werden sie die Besten für diese Aufgabe sein.«
Godegisel sah Fritigern forschend an, schien aber die Idee generell nicht für schlecht zu halten.
»Ich selbst bin aber keiner, der zu denen gehört«, gab er zu bedenken. »Sorgst du nicht um meine geistige Gesundheit?«
»Du hast die Geschichten gehört. Wappne dich. Aber ich brauche jemanden mit Intelligenz und Beobachtungsgabe, Godegisel. Enttäusche mich nicht.«
Der junge Mann wusste offenbar nicht, ob er über dieses Lob erfreut oder über seine Konsequenzen entsetzt sein sollte. In jedem Falle stellte er die Entscheidung Fritigerns nicht infrage.
»Zehn Wahnsinnige also, Richter.«
»Zehn, die mir erzählen können, was ich wissen muss.«
Godegisel erhob sich.
»Ich werde den Befehl befolgen. Doch solltest du danach in der Lage sein, eine Entscheidung zu treffen, Richter. Ich bin des Umherziehens müde, und ich bin nicht der Einzige. Wähle eine Schlacht, oder wähle die Unterwerfung. Aber wähle.«
Fritigern reagierte gar nicht. Er spürte die plötzliche Kälte in Godegisels Worten und ahnte, wie es im Heerlager brodelte. Die Zweifler wurden mehr. Der Ruhm von Adrianopel verblasste. Fritigern musste handeln, noch lieber: siegen, wenn er Führer der Goten bleiben wollte.
Wenn selbst einer seiner loyalsten Unterführer ihn zu warnen begann, dann war es in der Tat höchste Zeit, etwas zu tun.
22
Wenn Julia eines in ihrem Leben gelernt hatte, dann, dass man mit Geld alles erreichen konnte. Die Korruption war weit verbreitet im Reich und gab dabei schon lange keinen Anlass mehr zur Sorge: Es war schon eine große Ausnahme, einmal auf einen ehrlichen Bürokraten zu treffen. Wer einen Beutel mit guten Solidi – nicht die gestreckten, bei denen Kupfer beigemischt worden war – bei sich trug, konnte seine Anliegen im Regelfalle schnell vortragen, fand ein offenes Ohr und Erledigung war dann nur noch eine Frage des Preises. Julia war nicht ohne Mittel, denn Michellus gehörte zu jenen fortschrittlichen Vätern, die ihren Töchtern durchaus eine gewisse Verfügungsgewalt über eigenes Geld zugestanden. Während Julias Schwester Drusilla ihre Apanage in schöne Kleider, Schmuck und allerlei Wässerchen und Salben investierte, war zwar auch Julia der aktuellen Mode nicht abgeneigt, hatte jedoch gerade aufgrund ihrer permanenten Streitigkeiten immer darauf geachtet, eine Kriegskasse zu unterhalten. Einen Teil dieser Summe hatte sie mitgenommen, als sie mit Volkert fortgelaufen war, doch es war noch mehr als genug übrig: Eine kleine Truhe voller schöner goldener Solidi, einige noch zu den Zeiten Valentinian I. geprägt, als das Reich noch einen Imperator hatte, der wusste, was zu tun war.
Sagte ihre Mutter.
Julia war das egal, das Antlitz des Vaters von Gratian war vor allem dafür hilfreich, Gefallen und Dienste einzukaufen.
Als sie gemerkt hatte, dass ihre Mutter entweder ihr Wort nicht zu halten gedachte, sich für Volkert zu verwenden, oder dass ihr Einfluss nicht einmal halb so groß war, wie sie immer anzudeuten gepflegt hatte, war der Entschluss in ihr gereift, wieder selbst aktiv zu werden. Sie fühlte sich ohnehin wohler, wenn sie selbst das Heft des Handelns wieder in die Hand nehmen konnte, anstatt auf die Gefälligkeiten anderer zu warten. Das Warten hatte ein Ende und das
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