Kaiserkrieger 2: Der Verrat
und überließ dem germanischen General das Reden, denn während er ein unbeschriebenes Blatt war, kannten sich Victor und Arbogast gut.
Der General wusste, dass es trotz aller Vorankündigungen schwierig sein würde, Victor von seinem Vorhaben zu überzeugen. Erschwert wurde es zudem durch jemanden, der noch gar nicht zugegen war: Theodosius.
»Gratian hat einen neuen Feldherrn ernannt und ich kann solche Entscheidungen nicht treffen, ohne mich mit ihm beraten zu haben«, war dann auch Victors größter Einwand.
»Gratian hat diese Mission angeordnet. Theodosius muss sich dieser Anordnung genauso fügen wie du und ich«, erwiderte Arbogast. »Wir haben vor einigen Tagen selbst erleben dürfen, welch durchschlagende Wirkung die Waffen der Fremden haben. Mit ihrer Hilfe können wir sogleich handeln und müssen nicht noch Jahre warten, bis wir eine neue schlagkräftige Truppe ausgebildet haben.«
»Außerdem ist Theodosius beschäftigt. Die Sarmaten bedrohen die Grenze. Er wird vornehmlich damit befasst sein, mithilfe der Grenzgarnisonen den Vormarsch dieser Krieger zu kontrollieren«, warf Becker ein.
Victor maß ihn mit einem langen Blick. »Woher wollt Ihr das wissen, Becker? Das Letzte, was ich aus Sirmium gehört habe …«
»Es ist so, vertraut mir. Die erste Mission, zu der Theodosius nach seiner Ernennung aufbricht, ist die Niederschlagung eines sarmatischen Angriffes. Danach wird er Jahre benötigen, die Armee des Ostens wieder aufzubauen. Er wird außerdem dadurch gestört, dass Gratian ermordet werden wird, und er muss mit einem erfolgreichen Usurpator im Westen umgehen. Die Goten werden nie besiegt, sondern nur befriedet und als Foederatii im Reich aufgenommen – nicht als Untertanen, sondern als Bundesgenossen mit eigener Regierung.«
»Foederatii?«, echote Victor mit ungläubigem Unterton. »Eigene Regierung?«
Becker nickte. »Der Anfang vom Ende des Römischen Reiches.«
Flavius kniff die Augen zusammen. »Wenn Ihr die Zukunft so gut kennt, dann sagt mir, was ist mein Schicksal?«
»Kein Schicksal, das es zu berichten lohnen würde, edler Victor. Ihr seid ein alter Mann und werdet in den folgenden Jahren keine militärische Rolle mehr spielen. Ihr verlebt den Rest Eures Lebens mit Eurer Frau, zumeist in Antiochia, wo Ihr auch sterben werdet.«
Wenn der Heermeister von dieser Weissagung betroffen war, zeigte er es nicht. Er schien sogar fast heiter zu lächeln.
»Keine schlechte Aussicht«, sagte er schließlich. »Ein paar ruhige Jahre mit meiner Frau, ohne Krieg zu führen.«
»Wäre es nicht viel schöner, den Ruhestand in einem sicheren und gefestigten Osten zu verleben, anstatt noch über Jahre mit dem wechselnden Kriegsglück des Theodosius beschäftigt zu werden? Die ewige Frage, was gewesen wäre, wenn Valens nur auf Euren Rat gehört hätte, auf Gratians Truppen zu warten?«, setzte Becker nach. »Ich biete Euch diese Ruhe und Gewissheit, Flavius Victor. Springt über Euren Schatten. Befragt Arbogast und die anderen Offiziere nach dem, was sie erlebt haben. Vielleicht hilft Euch das, eine Meinung zu bilden.«
Der ältere Mann erwiderte nichts. Er sah Arbogast an, der ihm nur zunickte. Victor Flavius schien über Beckers Worte nachzudenken, denn er erhob sich und schritt die großen Fenster entlang, die den Raum einsäumten. Becker drängte nicht weiter. Es gab Momente für schnelle Entscheidungen, doch anderes musste genau überdacht werden. Es half ihnen nicht, wenn Flavius, ob nun getrieben durch den Befehl Gratians oder überredet durch seinen Freund Arbogast, nur halbherzig hinter dem Vorhaben stand, mit dem Becker die restliche Armee des Ostens einem Risiko aussetzen wollte. Flavius musste zumindest halb überzeugt sein. Das ging nicht von heute auf morgen.
»Nun gut«, sagte Victor schließlich und beendete seinen Rundgang. »Arbogast, ich möchte mit allen Offizieren sprechen, die dabei gewesen sind, als Ihr die Goten besiegt habt. Und ich werde natürlich den Befehl des Kaisers befolgen. Ich weiß nicht, wann Theodosius hier eintrifft, aber möglicherweise sollten wir wirklich nicht so lange warten.«
»Weißt du, wo sich die Goten zurzeit aufhalten?«, fragte Arbogast.
»Nun, der Tross bewegt sich langsam auf unsere Stellung zu. Fritigern weiß, dass wir uns hier sammeln. Er will nach Adrianopel den zweiten großen Sieg vorbereiten, und wenn Ihr nicht gekommen wärt, dann hätte ich mich hier verrammelt und die Goten vor der Stadt hin und her marschieren
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