Kaiserkrieger 5: Die Flucht (German Edition)
hatte. Dazu kam, dass er trotz seiner Flucht aus Ravenna über ein beträchtliches Vermögen verfügte, das sich im Verlauf der letzten Monate angesammelt hatte. Da er außerdem meist auf Staatskosten lebte und keinen Anlass dafür fand, Land zu erwerben oder Sklaven oder sonstige Besitztümer, hatte er kaum etwas von seinem Geld ausgeben können. Er ging davon aus, dass Aurelia über kurz oder lang Mittel und Wege finden würde, die Denare unters Volk zu bringen – spätestens dann, wenn Rheinberg so etwas wie ein Zuhause etabliert hatte, ein Ort, den er tatsächlich Heimat nennen konnte und an dem er sich mindestens genauso wohl und sicher fühlte wie in seiner Kajüte auf der
Saarbrücken.
Es war schwer, sich derzeit so etwas auszumalen.
Das Signal für den Start des zweiten Laufes ertönte.
Wieder richtete sich die Aufmerksamkeit auf das Geschehen auf der Rennbahn.
Rheinberg erkannte, dass diesmal das Feld ausgeglichener war. Lucinius mochte die Favoritenrolle innehaben, aber seine Konkurrenten waren nicht weit von ihm entfernt. Die erste Kehre sah heftig schlingernde und ausbrechende Streitwagen, und obgleich der Favorit mit Pferdeslänge in Führung ging, wurde rasch deutlich, dass die anderen Wagenlenker das Rennen damit noch nicht verloren gaben. Sie schrien ihre Pferde an und machten reichlich von der Peitsche Gebrauch. Rheinberg kniff die Augen zusammen. Auch Lucinius hatte eine lange Gerte in der Hand, aber es schien so, als würde er sie mit deutlich weniger Begeisterung auf die Rücken seiner Tiere klatschen lassen. Rheinbergs Vater, ein alter Kavallerieoffizier, hatte seinem Sohn einige Weisheiten mit auf den Weg gegeben, was den Umgang mit Pferden anging. Er war immer der Ansicht gewesen, dass der Einsatz von Schmerz nur in Extremsituationen zu rechtfertigen war und dass ein gutes Tier willig genug sei, das Äußerste zu geben, wenn man es anständig behandelte. Lucinius schien von dieser Weisheit gehört zu haben. Er schrie seinen Tieren aufmunternde Rufe zu, lenkte mit sicherer Hand, doch die Gerte tat nicht mehr, als die Hinterseiten der Tiere eher schon liebkosend zu streifen. Er prügelte nicht, ganz im Gegensatz zu seinen Konkurrenten, die auf ihre Tiere einschlugen, als würde die Bewegung ihrer Arme allein die Geschwindigkeit bestimmen.
Lucinius’ Abstand zu seinen Verfolgern wuchs langsam, unmerklich. In der zweiten Kehre hatte er bereits einen Vorsprung, der es ihm erlaubte, in die Kurve zu gehen, ohne dabei direkt von seinen Konkurrenten attackiert werden zu können. Rheinberg bemerkte, dass er sich dabei nicht einmal umschaute, völlig auf das Steuern des Wagens und seinen Umgang mit den Pferden konzentriert, eine Insel der fokussierten Aufmerksamkeit, die alles andere und jeden anderen ausblendete. Rheinberg verstand, warum er Favorit war. Lucinius verstand sein Handwerk und dies auf eine Art und Weise, die der der anderen Lenker in vielerlei Hinsicht überlegen war. Wo diese hektisch, ja wild wirkten, war er angespannt, aber ruhig. Wo diese sich fahrig umblickten und wilde Störmanöver fuhren, zog Lucinius mit schon fast maschineller Präzision seine Bahnen und seine Tiere ließen nicht eine Sekunde in ihrer beständigen, fast schon unheimlichen Leistung nach. Rheinberg wurde Zeuge eines Meisters. Es würde spannend sein, ihn im Finale zu erleben. Er spürte, wie ihn die Faszination dieses Wettbewerbs zunehmend in ihren Bann zog.
Er wandte sich Modestus zu und meinte: »Vielleicht sollte ich beim letzten Lauf auch wetten. Dieser Lucinius …«
Er erstarrte.
Zwei Klingen waren direkt auf seine Brust gerichtet.
Modestus hatte sich erhoben und einen Schritt zurück gemacht.
Überall tauchten Legionäre auf: in der Loge, im Bereich der Arena, in dem seine Leute platziert worden waren. Die Menge, fokussiert auf das Geschehen im Oval, hatte dies noch gar nicht zur Kenntnis genommen. Rheinberg starrte ungläubig auf die Klingen, die stoßbereit vor ihm in der Luft schwebten, gehalten von entschlossen dreinblickenden Männern.
Modestus sah Rheinberg halb bedauernd, halb resigniert an.
»Es tut mir leid, Heermeister«, sagte er leise. »Es ist nicht ganz meine Wahl gewesen.«
Rheinberg öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, als zwei Dinge gleichzeitig passierten.
Ein peitschender Schuss ertönte. Einer der beiden Soldaten vor ihm sackte mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen. Weitere Männer tauchten auf, gekleidet wie normale Stadtbewohner, bewaffnet mit kurzen, dünnen
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