Kaiserkrieger 6: Der Kaiser (German Edition)
sah auf, als die Küchengehilfin auch ihn ansprach.
»Herr …«
»Nein, nein, danke!«, wehrte der Mann ab und die Frau senkte betrübt den Blick, um sich dann zurückzuziehen. Die Augen des Screpius lauerten einen langen Moment auf der davonwatschelnden Gestalt.
»Sag nicht, dass sie dir gefällt«, machte Salius einen schwachen Witz, als sie sich eine Sitzbank suchten.
Screpius erwiderte das Lächeln nicht, sondern wirkte eher nachdenklich. Er sah der Frau mit forschendem Interesse nach, wie sie die anderen Gäste bediente, wie sie unterwürfig Bestellungen akzeptierte, Beleidigungen ohne weitere Regung aufnahm, Spott ertrug, aber auch schlicht ignoriert wurde, als würde sie nicht existieren. Sie trug Essen aus der hinteren Küche und räumte Reste ab. Salius konnte nicht ermessen, was Screpius dazu veranlasste, dieser Existenz eine solch große Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Er wollte bereits den Mund öffnen und noch einmal nachfragen, da sprach sein Kamerad bereits.
»Ich kenne diese Frau«, sagte Screpius und schüttelte den Kopf. »Das war jetzt unerwartet.«
»Du kennst sie?«
»Nur zu gut. Und nicht, was du denkst. Ich habe sie einmal festgenommen, als wir auf Rennas Geheiß der Stadtwache Ravennas geholfen haben.«
Salius sah Screpius alarmiert an. »Erzähl!«
»Sie heißt Flavia. Lass dich von ihrem Äußeren nicht täuschen. Sie setzt ihre bescheidene Hülle ganz bewusst ein, um ihre Umwelt über ihre wahren Absichten und Fähigkeiten im Unklaren zu lassen. Das ist ihr bei dir ja gerade ganz gut gelungen, oder irre ich mich da?«
»Sprich weiter.«
Screpius nahm einen Schluck Wein.
»Sie ist eine gewiefte und intelligente Betrügerin, Erpresserin und Diebin und hat, so sagt man, auch bereits gemordet. Und sie ist bisher jedes Mal entwischt. Als wir sie gefangen nahmen, fanden wir sie mit Beuteln voller Gold, die sie einem Senator gestohlen hatte. Zwei Wochen später, kurz vor ihrer Hinrichtung, war sie wieder verschwunden. Wir hatten wohl Gold übersehen, genug, um die Wachen zu bestechen und sich die Freiheit zu erschwindeln. Dann ist sie untergetaucht. Und jetzt ist sie hier.«
Screpius biss in den Kuchen und stöhnte anerkennend.
»Dann passt sie ja ganz gut in diese Gesellschaft«, meinte Salius nachdenklich.
Screpius sah ihn forschend an und fragte mit vollem Mund: »Ich mag deinen Gesichtsausdruck nicht, mein Freund. Ich mag ihn ganz und gar nicht.«
Salius grinste. In seinem Kopf formte sich ein spontaner Plan.
»Ich glaube, ich habe die Attraktivität fetter Frauen bisher immer unterschätzt«, murmelte er. Er ignorierte Screpius’ erneutes Stöhnen – diesmal eines aus purer Verzweiflung – und wandte sich um. Sein suchender Blick fand Flavia, die gerade einen Krug Wein auf den Tisch einiger speisender Offiziere abstellte.
»He, du da! Weib!«
Flavia kam aus dem Halbdunkel nach vorne, die Haltung voller verblödeter Beflissenheit, den Herren sogleich dienlich zu sein.
Sie schlurfte eilig herbei, bestrebt, den edlen Herrn nicht eine Sekunde unnötig warten zu lassen.
»Verdammt«, dachte Salius bei sich. »Sie ist gut! Sie ist wirklich gut!«
»Ich grüße dich, Flavia«, sagte Screpius mit gemessenem Tonfall.
»Der Herr kennt meinen Namen? Ich bin geehrt, Herr. Was darf ich bringen?«
»Erzähl mal, wo du nach deinem Gefängnisausbruch hin entkommen bist? Schlecht ist es dir ja offensichtlich nicht ergangen.«
Das war erstaunlich.
Mit der Frau ging vor Salius’ Augen eine bemerkenswerte Verwandlung vor sich.
Wo sie eben noch unterwürfig und dümmlich wirkte, reckte sich ihr Körper hoch. Sie war nun nicht weniger plump als vorher, aber in ihren Augen stand eine wache Intelligenz, um ihren Mund zeichnete sich eine unerwartete Härte ab. Die dicken, rohen Hände, eben noch wie nasse Lappen an ihrer Seite baumelnd, wirkten plötzlich kräftig, zupackend … nahezu bedrohlich. Ihre Körperhaltung verriet Anspannung und Kraft. Ihr Blick war berechnend, vorsichtig, aber ohne jede Angst. Die Dynamik und Spannung, die sie mit einem Male ausstrahlte, war dermaßen beeindruckend und kam so plötzlich, dass Salius für einen Moment die Stimme versagte.
»Ich muss Euch wohl kennen, Herr«, sagte sie, nunmehr sorgfältig artikuliert, mit einer lauernden Schärfe im Tonfall.
»Du erinnerst dich nicht an mich, Flavia. Aber du bist mir wohlbekannt. Ich hatte einmal das Vergnügen, dich zu verhaften. Du hattest den ehrenwerten Marcus Tullius Praetonius um einen großen Beutel mit
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