Kaiserkrieger 6: Der Kaiser (German Edition)
in die Auseinandersetzungen hineingezogen, und sei es nur, dass Leidenschaft und Blutdurst – oder vielleicht auch Verzweiflung – sie antrieben. Aber er würde nicht am ersten Ansturm, dem ersten Aufeinandertreffen teilnehmen. Das war sogar gefährlich. Die Kanonen des von Klasewitz würden versuchen, die Frontlinie irgendwann zu Beginn der Schlacht tunlichst zu vermeiden, da die Wahrscheinlichkeit sehr hoch war, die eigenen Männer zu treffen. Stattdessen würden sie sich auf die hinteren Truppenteile konzentrieren, in der keinesfalls irrigen Annahme, dort den relativ größten Schaden anrichten zu können – also genau dort, wo Volkert stehen würde.
Er stand tatsächlich. Er verzichtete auf sein Pferd – es war ein zu gutes Ziel und er wollte nicht unter oder mit dem Tier begraben werden. Er trug nichts anderes als Schwert und Schild, keinen Speer, und außer einer Wasserflasche hatte er nichts weiter bei sich. Der Helm saß fest auf seinem Kopf, schon etwas verbeult, wenngleich ausgebessert. Ausrüstung war knapp in der Armee des Theodosius und man benutzte alles, bis es nicht mehr reparabel war. Das galt auch für Offiziere.
Volkert versuchte, den Männern Zuversicht und Selbstvertrauen zu zeigen, obgleich er von beidem nicht sonderlich erfüllt war. Doch er behielt seine Zweifel unter Kontrolle. Er konnte jetzt weder fortlaufen noch hatte er einen besonders großen Einfluss auf den Gang der Dinge. Die Schlacht würde beginnen und an ihrem Ende würde es Sieger und Besiegte geben. Was Volkert viel mehr interessierte, war die Tatsache, dass es gleichzeitig Überlebende und Tote geben würde, und er hatte die feste Absicht, nicht zu Letzteren zu gehören. Es gab viel, für das es sich zu leben lohnte – Julia, die Tochter, seine neu gefundene Freiheit und Identität, ein Ende des Versteckens, ein neues Leben. Es wäre eine gar bittere Ironie des Schicksals, wenn in dem Augenblick, da sich alles zum Guten zu wenden schien, ein von seinem ehemaligen Ersten Offizier abgefeuerter Schrotbeutel sein Leben auslöschen würde.
Volkert hatte durchaus einen Sinn für solche Ironien entwickelt. Er hatte Gelegenheit gefunden, mit Godegisel zu reden, dem jungen Goten, kaum älter als er selbst. Die höchst abenteuerliche Geschichte dieses Mannes war faszinierend gewesen. Auch Godegisel trug Hoffnungen in sich wie Volkert selbst. Und ein noch tieferes Misstrauen. Denn im Gegensatz zu den Beteuerungen Rheinbergs glaubte er, dass der scheinbare Verrat der afrikanischen Truppenteile sich als ein tatsächlicher herausstellen konnte.
Volkert blickte zum rechten Flügel, sah die Formation der Provinztruppen, wie sie sich für den Angriff bereit machten.
Er fühlte Godegisels Zweifel in sich widerhallen. Er hatte neben einem Sinn für Ironie auch einen für Verrat und Hinterhalt entwickelt, genauso wie der Gote. Er beschloss, die Bewegungen seiner Nachbarn und Kameraden sorgfältig im Blick zu behalten.
Er blickte auf. Die Hörner erklangen. Ihr jammernder, etwas schräger Ton schwang über das Schlachtfeld. Und dann hörte er von gegenüber, dem Feind, einen ähnlichen Laut. Es war die formale Einleitung des gegenseitigen Abschlachtens.
Befehle wurde gebrüllt. Volkert betrachtete sich dabei, wie er in die Brüllerei einfiel, wie die einstudierten Kommandos beinahe automatisch seine Kehle verließen. Er erinnerte sich an das erste Mal, als er römische Soldaten kommandiert hatte, bei einem überraschenden Überfall der Sarmaten, als er mit seiner Kohorte auf dem Weg nach Noricum gewesen war. Kaum ein Jahr war seitdem vergangen, doch erschien es ihm wie eine kleine Ewigkeit. Er hatte sich das Kommando damals selbst gegeben, in dem Bestreben, eine verzweifelte Situation zu wenden. Der erste Schritt auf einer Karriereleiter, die ihn in die jetzige Höhe geführt hatte, und das mit rasanter Geschwindigkeit. Der erste tote Freund, der Grieche Simodes, der auf dem Schlachtfeld geblieben war. Nicht der letzte Tote, der starb, als Volkert Befehle gegeben hatte. Er würde das nie einfach so wegstecken können.
Er hörte eine markante Stimme. Secundus hatte eine noch stärkere Lunge als er selbst, eine durchdringende und aufrüttelnde Stimmlage, die selbst den lethargischsten Legionär anzuspornen in der Lage war.
Die Männer begannen zu marschieren, alle auf einmal.
Der Untergrund war eine bessere Wiese, dämpfte das Geräusch, doch wenn Tausende von Füßen aufstampften, dann gab es kein Gras mehr, das diesen Laut zu
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