Kaiserkrieger: Der Aufbruch
Gratian nicht allein. Das personifizierte Anathema, Magister Militium Rheinberg, war ebenfalls anwesend. Ambrosius zwang sich zu einem Lächeln. Er verbeugte sich vor dem Kaiser und murmelte eine Grußformel, ehe er sich wieder aufrichtete und umsah.
Der Einfluss der Zeitenwanderer war auch hier überall zu erkennen. Und wie Ambrosius vorher bereits kontempliert hatte, war er nicht nur negativ. Die große Karte des Römischen Reiches, die an der Wand aufgespannt war, galt als gemeinsame Arbeit deutscher und römischer Experten und zeichnete sich durch eine Maßstabstreue und Detailliertheit aus, die der Bischof noch auf keiner Darstellung dieser Art erblickt hatte. Er ertappte sich bei dem Wunsch, eine ebensolche Karte zu besitzen, auf der er mit größerer Sorgfalt und Genauigkeit die Grenzen der bischöflichen Verantwortlichkeiten und die Einflussgebiete der wahren Kirche würde eintragen können. Fast fühlte er sich versucht, Gratian um eine Kopie zu bitten, doch würde dies derzeit als Eingeständnis einer Überlegenheit der Zeitenwanderer aufgenommen werden, das zu machen der Bischof keinesfalls bereit war. Er warf noch einen letzten, halb bedauernden, halb neidvollen Blick auf die farbige Wandkarte, dann aber heftete er seine Augen auf Gratian, der ihm älter, erwachsener erschien als noch vor einigen Monaten, als er ihn das letzte Mal getroffen hatte. Die neue Ernsthaftigkeit des Kaisers, von der alle gleichermaßen berichteten, zeigte sich in seinem ganzen Habitus, in seiner sparsamen Gestik ebenso wie in seiner würdevollen, jedoch gleichzeitig erschöpft wirkenden Körperhaltung.
Bischof Ambrosius nahm dies mit Bedauern zur Kenntnis. Diesen Mann zu töten war sicher eine Verschwendung. Er hoffte, die Unausweichlichkeit dieser Entscheidung würde sich als Irrtum seinerseits herausstellen, doch die vertrauliche, ja fast freundschaftliche Art, mit der Rheinberg neben dem jugendlichen Kaiser stand, sprach ihre eigene Sprache. Und das Misstrauen, die abwartende Vorsicht in den Blicken beider Männer, wie sie Ambrosius musterten, kam noch hinzu. Der Bischof wischte allen Zweifel davon.
»Ehrenwerter Augustus, danke, dass Ihr mich empfangen habt. Ich darf Euch meine Brüder Lucius und Hardinus vorstellen, treue Mitarbeiter meines Collegiums, die mich auf der beschwerlichen Reise aus Mailand hierher begleitet haben .«
»Sie sind alle willkommen, Ehrwürden«, erwiderte Gratian und nickte den beiden Priestern, die sich einen Schritt hinter Ambrosius hielten, freundlich zu. »Wir sollten uns alle setzen, erst recht nach einer langen Reise. Ich lasse Getränke und Speisen bringen, damit Ihr Euch stärken könnt .«
Ambrosius’ erster Reflex war es, durch eine Betonung seiner asketischen Natur einen Punkt in dem stummen Ringen zu gewinnen, das nun unweigerlich beginnen würde. Doch seine beiden Brüder wirkten ob der Ankündigung des Kaisers so begeistert, setzten sich auf die dargebotenen Liegen und schauten derart begierig auf die Serviertische, die stumme Sklaven auf einen Wink Gratians herbeitrugen, dass Ambrosius die Ablehnung herunterschluckte und sich abermals fragte, ob die Idee, mit diesen beiden Priestern gemeinsam aufzutreten, eine seiner schlechteren gewesen sein könnte.
So setzte sich auch Ambrosius und wartete, bis ihm Bedienstete einen Becher mit verdünntem Wein sowie einige kalte Speisen zur Seite gestellt hatten. Er war hungrig, aber er wollte nicht zu dankbar erscheinen und begnügte sich damit, seine Kehle kurz anzufeuchten, ehe er wieder das Wort ergriff.
»Ihr fragt Euch sicher, was mich um diese Jahreszeit nach Trier führt, Augustus .«
»In der Tat.«
»Ich bin hergekommen, um mit Euch über wichtige Aspekte der Kirchenpolitik und des Glaubens zu sprechen .«
Ambrosius bemerkte, wie sich der Blick Rheinbergs unmerklich verengte und eine sofortige Anspannung in seiner Körperhaltung sichtbar wurde. Gratian hingegen wirkte eher nervös, spielte mit dem Becher in seiner Hand, obgleich er so tat, als sei dies eher ein Ausdruck von Gelassenheit.
»Es muss sich um etwas sehr Wichtiges handeln, wenn Ihr dazu die Reise hierher auf Euch nehmt«, sagte nun Rheinberg. Sein Latein, das musste der Bischof einräumen, wurde bei jeder neuen Begegnung besser.
»Es ist wichtig, ja, von zentraler Bedeutung. Eigentlicher Anlass waren Beschwerden einiger Bischöfe, die mir zu Ohren gekommen sind .«
»Beschwerden worüber?«
»Die Tatsache, dass die vollkommene Steuerfreiheit kirchlicher
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