Kaisertag (German Edition)
konservativer Hauptmann aufstand, um ihn zu verteidigen, empfand sie als unpassend. Helmut Schmidt hätten seine neuen Fürsprecher gewiss nicht gefallen.
Länger konnte sie über diese merkwürdige Konstellation aber nicht nachdenken, denn die drei Offiziere waren kaum verschwunden, da trat Alexandra Dühring aus den Rathausarkaden und ging nach einigen suchenden Blicken auf den Tisch zu, an dem die Engländerin saß. Als sie näher kam, konnte Yvonne Conway selbst durch die Sonnenbrille erkennen, dass die Polizeipräsidentin vollkommen übernächtigt sein musste. Sie hatte die dunklen Ringe um die Augen zwar überschminkt, doch damit konnte man nur Männer täuschen; eine Frau durchschaute leicht den Versuch, die Spuren des Schlafmangels kosmetisch zu überspielen. Aber das wusste die Polizeichefin sicher auch.
»Ich danke Ihnen, dass Sie sich zu diesem kurzfristigen Treffen bereitgefunden haben«, sagte Alexandra und nahm am Tisch der britischen Agentin Platz.
»Das ist doch selbstverständlich«, entgegnete Yvonne Conway. »Schon als ich Ihre Stimme am Telefon hörte, wusste ich, es muss sich um eine ernste Angelegenheit handeln. Und nun sehe ich mich in dieser Annahme bestätigt. Bitte verstehen Sie es nicht als Taktlosigkeit, aber ich kann Ihnen ansehen, dass Sie keinen Schlaf finden konnten.«
»Jedenfalls nicht mehr als zwei Stunden, um genau zu sein«, erwiderte Alexandra. »In der vergangenen Nacht wurde nämlich Dietrich Sebastian Wilhelmi ermordet, der Hauptpastor von St. Marien.«
»Ermordet? Aber davon wusste ich ja noch gar nichts.«
»Das ist kein Wunder, Miss Conway. Die Lübecker Stadtväter haben beschlossen, den Tod des Pastors erst am Montag bekannt zu geben, um wenigstens einen Rest Festtagsstimmung zu retten.«
Eine Bedienung in schwarzem Kleid und weißer Spitzenschürze trat an den Tisch und erkundigte sich nach den Wünschen der Polizeipräsidentin. Alexandra bestellte ein Mineralwasser, das ihr gleich darauf gebracht wurde.
Nachdem sie wieder ungestört waren, meinte die Engländerin: »Nun, Frau Dühring, ich würde gerne den eigentlichen Grund für dieses Treffen erfahren. Liege ich richtig, wenn ich vermute, dass Sie und Herr Prieß bezüglich des Mordes an Oberst Diebnitz zu neuen Erkenntnissen gelangt sind und jetzt meine Hilfe benötigen?«
»So könnte man es ausdrücken«, sagte Alexandra, nachdem sie einen Schluck von ihrem Wasser genommen hatte. »Aber die Sache ist inzwischen erheblich komplizierter geworden. Und weil ich in einer halben Stunde zur abschließenden Besprechung mit den Organisatoren des Kaisertags erwartet werde, will ich versuchen, Ihnen alles so kurz und knapp wie nur möglich zu erläutern.«
»Einen Moment bitte«, hielt Yvonne Conway Alexandra mit einer zur Vorsicht mahnenden Geste zurück. Sie schaute sich um, da sie sichergehen wollte, dass niemand nah genug bei ihnen saß, um das Gespräch gewollt oder ungewollt mitzuhören. Als sie sich davon überzeugt hatte, gab sie der Polizeipräsidentin durch ein Nicken zu verstehen, dass sie unbesorgt weitersprechen konnte.
»Miss Conway«, fuhr Alexandra mit gesenkter Stimme fort und beugte sich zu der Engländerin vor, »ich möchte Ihnen etwas über eine Gruppe von Personen erzählen, die sich selbst Puppenspieler nennen …«
»Golly gee! That’s absolutely incredible«, war alles, was Yvonne Conway herausbrachte, nachdem Alexandra ihre Schilderung abgeschlossen hatte. Vor Erstaunen war die Agentin für einen Moment in ihre Muttersprache zurückgefallen. »Das ist das … das Unglaublichste, was ich je gehört habe.«
Alexandra trank den Rest ihres Mineralwassers aus; die Kohlensäure hatte sich längst restlos verflüchtigt. »Sie glauben mir kein Wort, oder? Ich kann es ihnen nicht verdenken.«
Yvonne Conway schüttelte den Kopf. »Oh nein, Sie missverstehen mich, Frau Dühring. Es mag Ihnen merkwürdig vorkommen – aber ich bin fest davon überzeugt, dass Ihre Darstellung der Wahrheit entspricht. Es ist nur ein Gefühl, aber … sehen Sie, so etwas kann sich niemand ausdenken. Was Sie mir über die Verschwörung der sogenannten Puppenspieler berichtet haben, ist so unfassbar, wie es nur die Realität sein kann. Nun sehe ich auch manches in einem ganz neuen Licht … nicht nur, was den Tod von Gustav Diebnitz angeht. Jedoch …«
Sie blickte Alexandra über den Rand der Sonnenbrille hinweg prüfend an. »Wissen Ihre neuen Freunde um den Feldmarschall Rommel überhaupt, dass Sie dieses
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