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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Reichsregierung in seiner Eigenschaft als Oberster Befehlshaber die Zustimmung zur Ausrufung der Teilmobilmachung, welche am Montag, den 6. Juni, mit der Bekanntgabe der zur Aktivierung vorgesehenen Einheiten und Reservistenjahrgänge in Kraft tritt. Ferner wurde die Regierung des Königreichs Dänemark in einer diplomatischen Note gewarnt, dass das Deutsche Reich gezwungen sei, jeden weiteren Gewaltakt der von dänischer Seite unterstützen Separatisten als Kriegserklärung und militärischen Angriff zu betrachten, mit sämtlichen daraus resultierenden Folgen. An Dänemark, nicht an Deutschland ist es, den Frieden zu bewahren, indem es von seinem unheiligen Bündnis mit den Terroristen abrückt und uns die Rädelsführer der sogenannten ›Freunde Jütlands‹ namhaft macht. Sollte es diesen gerechtfertigten Forderungen nicht nachkommen, sollten möglicherweise gar neue Verbrechen weiteren Blutzoll fordern, dann wird unser Nachbarland dafür seine gerechte Strafe erhalten müssen. Und falls ein Waffengang unvermeidlich wird, wer wollte dann bezweifeln, dass der Allmächtige mit uns ist, da wir uns nur zur Wehr setzen und uns im Recht wissen dürfen? Gott schütze Seine Majestät Kaiser Wilhelm V., das Deutsche Reich und den Frieden, den wir so lieben.«
    Atemloses Schweigen herrschte an den Tischen des Cafés. Dann, nach nicht viel mehr als einer Sekunde der Stille, erklang wuchtig die Wacht am Rhein aus dem Radio. Einige der Gäste erhoben sich von den Stühlen und sangen lauthals voller Begeisterung mit; andere aber blieben sitzen und hielten beklommen die Augen gesenkt.
    Als die Musik zu Ende war und der Kellner das Rundfunkgerät wieder fortbrachte, schwenkte ein alter Herr mit kurzen weißen Haaren drohend den Zeigefinger in Richtung einiger Gymnasiasten an einem Nachbartisch, die nicht einmal versucht hatten, ihren Widerwillen gegen die Bekanntmachung des Kriegsministers zu verbergen.
    »Der Jugend von heute fehlt die Disziplin, der Gehorsam, die vaterländische Gesinnung!«, wetterte er. »Aber ihr werdet schon sehen! Bald tragt ihr des Kaisers Rock, und dann wird man euch zurechtstutzen!«
    Die Jungen quittierten seine Ausfälle nur mit spöttischen Bemerkungen, und einer von ihnen parodierte seinen knarrenden Tonfall so gekonnt, dass sie alle miteinander in Gelächter ausbrachen.
    »Unerhört!«, empörte sich der Alte. »Ich muss mir eure Frechheiten nicht gefallen lassen! Ich bin ein Veteran des Großen Chinakrieges! Wisst ihr überhaupt, was ich alles für euch gegeben habe, als ihr noch nicht einmal geboren wart?«
    An einem etwas abseits stehenden Tisch meldete sich ein ebenfalls nicht mehr junger Mann mit grauem Bart in der dunkelblauen Uniform eines Kapitäns der Handelsmarine zu Wort: »Ich habe auch in China gekämpft.«
    Der erboste Veteran witterte Unterstützung für seine wütenden Attacken gegen die Schüler. »Ein Kamerad!«, rief er aus. »Jemand, der nicht vergessen hat, was Vaterlandsliebe ist! Sind Sie denn auch wie ich bei der Siegesparade in Berlin durch das Brandenburger Tor gezogen?«
    Der Kapitän wiegte verneinend den Kopf. »Ging nicht. Ich durfte das Spektakel nur vom Straßenrand aus bewundern.«
    Er schlug die Tischdecke zurück, sodass sein rechtes Bein sichtbar wurde. Es bestand nur noch aus einem Stumpf, der im umgeschlagenen Hosenbein oberhalb der Stelle endete, wo einmal das Knie war.
    »Mit einem Bein marschiert’s sich schlecht«, meinte der Kapitän schneidend. »Darum wollten sie mich nicht dabeihaben. Und jetzt, mein Herr, erklären Sie mir gütigerweise doch, wofür ich mich zum Krüppel schießen lassen musste.« Er sah zu den Gymnasiasten hinüber, die nun nicht mehr lachten, und sagte: »Schaut’s euch nur gut an, Jungs, damit ihr auch wisst, wovon Leute wie der da reden, wenn sie mit Ehre, Pflicht und dem ganzen Blödsinn anfangen.«
    »Defätismus!«, krächzte der alte Mann, dass sich seine Stimme überschlug. »Das ist … ich … mit Leuten wie Ihnen sollte man kurzen Prozess machen!«
    Yvonne Conway setzte ihre Sonnenbrille wieder auf und erhob sich. »Ich muss mich jetzt leider verabschieden, Frau Dühring. Hier wird es ein wenig ungemütlich. Ich werde Sie heute im Verlaufe des Abends anrufen und Sie auf dem Laufenden halten.«
    »Ich kann gut verstehen, dass Sie lieber gehen möchten. Ich werde nur noch rasch diesen unangenehmen Schreihals zur Räson bringen, dann begebe ich mich hinüber ins Rathaus«, erwiderte Alexandra mit einem finsteren Blick auf

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