Kaisertag (German Edition)
Film, Fritz. Ich werde dir doch nicht die letzten Momente deines Lebens dadurch unnötig schwer machen, dass ich dir Dinge verrate, über die du dir dann den Kopf zerbrichst und an denen du doch nichts ändern kannst. Und im Übrigen betrachte ich mich nicht als Schurken.«
»Nein, natürlich nicht«, höhnte Prieß. »Du und deine sauberen Spießgesellen, ihr bringt ja nur Menschen am laufenden Band um. Ihr wollt eine ganze Stadt in die Luft jagen und einen Krieg vom Zaun brechen, alles nur für eure idiotischen Vorstellungen von einer perfekten Welt.«
Sonnenbühl wandte Friedrich Prieß den Rücken zu und ging hinüber zum Fenster; seine harten Stiefelsohlen schlugen bei jedem Schritt mit einem schweren, dumpfen Hall auf die weißen Fliesen des Küchenbodens. Er sah einige Augenblicke aus dem Fenster hinaus in den Garten.
Dann drehte er sich wieder um und sagte mitleidig: »Du willst es überhaupt nicht verstehen, stimmt’s? Die Welt, die uns vorschwebt, ist perfekt. Nie waren die Leute so glücklich, nie die Verhältnisse so wohlgeordnet wie 1914. Und um diese Zustände zu erhalten, ist jedes Mittel gerechtfertigt. Unverrückbare Traditionen, feste Wertevorstellungen …«
»Ach ja? Ihr wollt den Kaiser ermorden! Wie passt das denn zu euren ach so festen Werten?«, fuhr Prieß ihm ins Wort.
»Es geht um das Prinzip, um die Idee«, widersprach Sonnenbühl gereizt. »Und die tasten wir nicht an. Die Hohenzollerndynastie wird auch in Zukunft auf dem Thron bleiben, genau wie es sein muss. Ein einzelner Kaiser hingegen ist entbehrlich, wenn er zu einer Gefahr wird. Ganz abgesehen davon, dass Wilhelm V. nie Kaiser werden sollte. Wir hatten seinen Vater und seinen älteren Bruder von Kindesbeinen auf in unserem Sinne beeinflusst, aber um ihn hatten wir uns nicht gekümmert, er war für uns uninteressant gewesen. Wer hätte schon ahnen können, dass dieser eigensinnige Junge durch eine Grippewelle zur Krone kommt? Er ist ein Zufallskaiser, mehr nicht. Und er wird jeden Tag gefährlicher. Er muss beseitigt werden, um der Sache willen. Und jetzt haben wir genug geredet.«
»Also wirst du mich nun erschießen.« Prieß staunte, wie leicht ihm dieser Satz über die Lippen kam.
Sonnenbühl tastete mit den Fingern nach dem mattbraunen ledernen Pistolenhalfter an seinem Uniformkoppel und tat so, als würde er das Für und Wider dieses Gedankens gegeneinander abwägen. Doch dann sagte er: »Werde ich nicht, obwohl ich dir noch etwas für den Kinnhaken neulich schuldig bin. Ich bin wohl viel zu sentimental, aber ich bring’s nicht fertig, einem alten Freund eigenhändig eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Nein, ich lasse dich einfach hier zurück. Die Druckwelle bei der Explosion der Atombombe wird das Haus zum Einsturz bringen. Mach dir deswegen keine Sorgen, du wirst davon nichts mehr spüren, weil dir kurz vorher die Lungen platzen. Mein Wort darauf. So mache ich mir nicht die Hände schmutzig.«
»Noch schmutziger geht ja auch kaum«, zischte Prieß. Er merkte, wie die Angst seinen Hals langsam zuschwellen ließ und sich lähmend schwer auf die Stimmbänder legte.
Die Tür öffnete sich, und Ernst Beinfeldt kam in die Küche, in der Hand einen kleinen Reisekoffer. »
Ich bin soweit, Herr Major«, sagte er.
Äußerlich war der Professor ruhig, doch Prieß entging nicht, wie nervös seine hellen Augen hinter den runden Brillengläsern wanderten. »Herr Professor!«, rief Prieß aus. »Wie haben diese Verbrecher Sie bloß gezwungen, für sie zu arbeiten?«
Beinfeldt sah verunsichert und Hilfe suchend zu Sonnenbühl hinüber, der eine Miene der Überlegenheit aufsetzte: »Ah, alles weißt du also doch nicht, Fritz. Niemand musste den Herrn Gelehrten zu irgendwas zwingen, ganz im Gegenteil. Er hat sich unserer Sache eifrig zur Verfügung gestellt, nachdem wir an ihn herangetreten waren.«
»Unsinn!«, widersprach Prieß hart. »Ich weiß genau, dass der Professor schon immer ein überzeugter Pazifist war, genau wie sein Lehrer Albert Einstein …«
»… von dem er sich ’53 nach einem Streit getrennt hat. Und weißt du auch, wieso? Weil er eigentlich immer einer von uns war, ein Konservativer. Er wusste es nur nicht, denn Einsteins Einfluss auf ihn war über lange Zeit zu stark. Habe ich damit nicht recht, Herr Professor?« Der Major schaute nur flüchtig zu Beinfeldt und redete sofort weiter, ohne auf eine Reaktion zu warten: »Doch schließlich hatte er die wirklichkeitsfremden, verlogenen, gefährlichen
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