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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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entgehen. Die Puppenspieler sorgten dafür, dass ich unbeschränkte Forschungsmöglichkeiten erhielt. Eine Zeit lang ließen sie mich noch als Pazifisten in der Öffentlichkeit auftreten, damit mein Sinneswandel nicht auffällig wurde. Und die folgenden drei Jahrzehnte arbeitete ich geduldig daran, meine neuen Verbündeten von den Vorteilen eines gewaltigen Krieges zu überzeugen, der selbstverständlich triumphal ausgehen und ihre Herrschaft für alle Ewigkeit festigen würde. Sie sträubten sich lange dagegen, aber die jüngsten Entwicklungen ließen sie ihre Meinung ändern. Diese Narren! Sie denken wirklich, Deutschland könnte diesen kommenden Krieg gewinnen und sie würden allmächtig werden! Deutschland und das morsche Österreich gemeinsam mit einigen schwächlichen Alliierten gegen den Rest Europas … nein, die Niederlage ist unabwendbar. Und sie wird alles hinwegfegen. Die Kronen und Throne, die Pickelhauben, das Hurrageschrei, überhaupt diese ganze widerwärtige, verknöcherte, arrogante alte Welt. Dann erst wird der Weg frei sein für etwas Neues, Besseres.«
    Prieß, der dem Monolog des Professors erst verständnislos, dann mit wachsendem Entsetzen gefolgt war, starrte ihm für einen Moment sprachlos in die kleinen harten Augen, ehe er heiser ächzte: »Sie … Sie … sind geisteskrank. Denken Sie doch an die Toten …«
    Beinfeldt seufzte matt. »Ja, das ist in der Tat betrüblich, aber nicht zu ändern. Opfer müssen gebracht werden, um der nachfolgenden Generationen willen. Das müssen Sie doch einsehen. Deshalb kann ich Sie auch nicht befreien – Sie würden unter Umständen alles, wofür ich so lange gearbeitet habe, zunichtemachen. Übrigens, es dürfte Sie interessieren, dass Oberst Diebnitz einem ganz ähnlichen Irrtum wie Sie erlegen war. Obgleich er eine bedeutende Position innerhalb der Verschwörung bekleidete, hatte es niemand für nötig befunden, ihn über meine Zugehörigkeit zu den Puppenspielern zu informieren. Und als er nun zu mir kam und mich inständig bat, die Fertigstellung des Großen Kurfürsten zu verhindern, was blieb mir da anderes übrig, als seinen Sinneswandel Major Sonnenbühl zu melden? Sosehr ich es bewunderte, dass Diebnitz sein Gewissen entdeckt hatte, er stellte eine ernsthafte Bedrohung meines Lebenswerkes dar. Aber ich bedauerte seinen Tod zutiefst, wie es mir auch unangenehm ist, Sie diesem Schicksal überantworten zu müssen. Herr Prieß, ich kann nicht länger bleiben; der Major wartet sicher schon ungeduldig. Leben Sie wohl.« Der alte Mann verabschiedete sich, indem er den Kopf neigte, drehte sich um und ging zur Tür hinaus.
    Prieß wollte ihm Sie Wahnsinniger! hinterherbrüllen, aber die Töne blieben in seiner eng zugeschnürten Kehle stecken.
      
    Paul von Rabenacker humpelte hinter der Doppelreihe der Militärmusiker entlang. Er war bei einem unbedachten Schritt von einer steinernen Treppenstufe abgerutscht und dabei mit dem Fuß unglücklich umgeknickt. Der Oberst war wütend auf sich selbst, weil er einem verschwindend kurzen Augenblick der Unaufmerksamkeit nun garstige Schmerzen bei jedem Schritt zu verdanken hatte. Wie gerne hätte er sich schneller von der Regimentskapelle entfernt, die gerade die Ouvertüre zur Zauberflöte so knallig schmetterte, als sollten dazu Grenadiere paradieren. Doch mit dem verletzten Fuß konnte Rabenacker sich nur langsam fortbewegen, sodass außer dem Knöchel auch noch seine Trommelfelle schmerzten.
    Dann war er endlich doch der unmittelbaren Nähe der Kapelle entronnen und traf auf Victor von Bülow, der in einem korrekten, aber trotzdem auf unbeschreibbare Weise seltsam unpassend wirkenden weißen Sommeranzug hinter einem hohen, mit Flaggen behängten Holzgerüst am Prachtportal des Hanseplatzes auf ihn wartete.
    »Sie haben Nerven«, bemerkte Rabenacker eher verblüfft als ungehalten, als er sah, dass Bülow die Wartezeit damit verbracht hatte, in aller Seelenruhe Skizzen in einem Notizbüchlein anzufertigen. »Wir stehen vor einem Inferno, und Sie zeichnen.«
    »Es beruhigt mich«, erklärte Bülow entschuldigend und steckte eilig das Notizbuch weg.
    Rabenacker ging darauf nicht weiter ein. Er hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, Victor von Bülow fast immer beim Zeichnen anzutreffen, selbst in den unmöglichsten Situationen. Anfangs hatte er sich noch verwundert gefragt, wie ein erwachsener Mann auf solche Weise seine wertvolle Zeit vergeuden kann, und das umso mehr, als Bülow nie etwas anderes

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