Kaisertag (German Edition)
Vorstellungen dieses Juden nicht mehr ertragen und beschlossen, sich davon zu befreien. Danach sind die Puppenspieler auf ihn zugekommen, und er schloss sich unserer Sache mit Begeisterung an. Seitdem hat er uns unschätzbare Dienste erwiesen. Natürlich, wir sind immer noch ein wenig vorsichtig, wenn es darum geht, ihn in unsere Absichten einzuweihen, aber – ich bitte um Verzeihung, Herr Professor – das ist in Anbetracht seines Lebenslaufes nachvollziehbar, denke ich.«
Sonnenbühl blickte hinüber zu der Küchenuhr, die über dem Geschirrschrank an der gekachelten Wand hing. Gerade waren die Zeiger auf zehn Uhr drei vorgerückt.
»Es wird Zeit«, meinte er. »Ich muss mich jetzt von dir verabschieden, Fritz. Tut mir aufrichtig leid das alles hier, aber du lässt mir ja keine andere Wahl. Jeder muss eben seine Pflicht tun.«
»Du bist ein widerliches Arschloch! Ich sag dir jetzt schon, wenn dich die Puppenspieler nicht mehr brauchen, lassen sie dich auch über die Klinge springen. Dann kriegst du, was du verdienst!«
»Das kriege ich sogar mit Sicherheit, alter Freund. Und zwar schon bald, denn ab morgen werde ich General der Sonderbrigade sein. Kommen Sie, Herr Professor?«
»Ja … ja, gewiss.« Beinfeldt rückte sich die schief sitzende kleine Brille zurecht. »Gehen Sie doch schon hinaus zum Wagen, Herr – äh – Major Sonnenbühl. Ich wollte mit diesem Herrn noch, äh, einige Worte wechseln. Und ihm eine meiner … meiner … na! Meiner Zigaretten, genau. Eine meiner Zigaretten anbieten.«
Der Major quittierte den Wunsch des Professors mit einem Schulterzucken. »Wie Sie möchten. Aber nur zwei Minuten, sonst wird es zeitlich zu eng. Diese ganze Sache hat uns schon genug aufgehalten. Mach’s gut, Fritz, und versuch einfach, nicht so viel zu grübeln.« Er legte mit einem breiten Grinsen die Hand zu einem angedeuteten Gruß an den Mützenschirm und verschwand im Halbdunkel des Korridors jenseits der Tür.
»Stecken Sie sich Ihre Zigaretten sonst wohin und verschwinden Sie!«, herrschte Prieß den Professor an. Aufgebracht, wie er war, bemerkte er zunächst nicht, wie sich im Gesicht des alten Gelehrten eine Veränderung abzeichnete, kaum dass Maximilian Sonnenbühl fort war. Der zerstreute, etwas weltferne Ausdruck verflog innerhalb eines Wimpernschlags völlig.
»Bitte glauben Sie nichts von dem, was der Major eben über mich gesagt hat«, bat er Friedrich. »Diese verabscheuungswürdigen Puppenspieler irren sich, wenn sie denken, ich würde ihre Auffassungen teilen, geschweige denn für die Verwirklichung ihrer Vorstellungen arbeiten.«
»Sie … gehören also nicht zu Ihnen?« Prieß schöpfte neue Hoffnung.
»Niemand könnte weiter von diesen Leuten entfernt sein als ich, Herr Prieß.«
»Dann beeilen Sie sich«, drängte der Detektiv, »machen Sie schnell meine Fesseln auf! Wir müssen verhindern, dass die Atombombe die Stadt vernichtet!«
Der Professor schüttelte den Kopf. »Ich bin untröstlich, aber ich kann Sie nicht befreien. Es ist meine Absicht, dass diese Bombe detoniert.«
»Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen? Viele Tausend werden sterben, und danach bricht ein Krieg aus!«
»Ich weiß, ich weiß. Und eben darauf hoffe ich ja. Lassen Sie es mich Ihnen ganz kurz erläutern: Es stimmt durchaus, ich habe mich im Streit von Professor Einstein getrennt, doch die Gründe waren andere, als die Puppenspieler annehmen. Einstein hegte eine tiefe Abneigung gegen unsere militaristische, obrigkeitsfetischistische Gesellschaft. Er war der Ansicht, man müsse versuchen, das alles langsam und mit den Mitteln der Vernunft zu ändern. Ich hingegen hatte damals bereits erkannt, dass diese Ordnung abstoßend verkrustet, aber auch fest zementiert ist. Nur ein sehr naiver Mensch konnte glauben, dass dort mit bloßer Vernunft und Weltverbesserertum etwas zu bewegen war. Ich vertrat die Überzeugung, dass nur ein großer Krieg, der in einer katastrophalen Niederlage endete, die alte Ordnung zusammenbrechen lassen könnte. Wie ein reinigendes Gewitter, nein, eher wie ein Erdbeben, das keinen Stein auf dem anderen lässt. Das sagte ich auch Einstein, aber er war über meine Sichtweise entsetzt. Wir gerieten deswegen in Streit und gingen in Unfrieden auseinander. Die Puppenspieler interpretierten mein Zerwürfnis mit Albert Einstein falsch und traten an mich heran. Ich hatte ganz unverhofft die Wurzel allen Übels entdeckt. Diese Gelegenheit ließ ich mir selbstverständlich nicht
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