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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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hervorbrachte als Männchen mit dicken Knollennasen oder ähnlich kindische Motive; inzwischen aber nahm er es einfach hin.
    »Was gibt es Neues?«, wollte der Oberst wissen.
    »Leider rein gar nichts«, antwortete Bülow und zog die markanten Augenbrauen sorgenvoll gekrümmt zusammen. »Noch keine Spur von dem Schützen, und auch kein Hinweis, wo die Bombe sein könnte.«
    »So geben Sie sich doch mehr Mühe! Herrgott, sagen Sie den Männern, dass uns die Zeit davonläuft! In nicht mal zwanzig Minuten wird der Kaiser …«
    Rabenacker brach mitten im Satz ab. Ein kleiner Junge in einem Matrosenanzug, vielleicht vier Jahre alt, hatte sich hinter das Flaggengerüst verirrt und kam mit wackeligen Schritten näher. »Wo ist Susi?«, wimmerte er und sah die beiden Männer mit vom Weinen geröteten Augen an.
    »Als ob wir nicht genug Sorgen hätten«, ächzte der Oberst genervt.
    Victor von Bülow zog das Notizbuch wieder hervor, holte einen roten Kopierstift aus der Tasche und warf mit wenigen Strichen eine Zeichnung auf das Papier. Dann trennte er das Blatt heraus und überreichte es dem Kind mit den Worten: »Guck mal, was ich hier für dich habe!«
    Die Zeichnung tat ihre Wirkung. Der kleine Junge sah das Bild eines roten, aufrecht gehenden Nashorns mit zotteligem Haarschopf, und augenblicklich waren die Tränen vergessen. Stattdessen gab er jetzt ein glucksendes Lachen von sich. Noch während Rabenacker sich erstaunt fragte, wie dieses simple Bildchen einen solchen Effekt haben konnte, erschien auch schon ein Kindermädchen und atmete auf, als es seinen entwischten Schützling sah.
    »Susi!«, rief der Kleine und lief freudestrahlend auf die junge Frau zu. Sie warf ihm einen strengen Blick zu, nahm ihn dann aber erleichtert an die Hand und entschuldigte sich bei Rabenacker und Bülow dafür, dass der Junge sie belästigt hatte. Nachdem sie mitsamt dem Kind wieder fortgegangen war, stieß der Oberst ein kurzes, missgelauntes Schnauben durch die Nase aus.
    »Also gut«, sagte er, »welche der Orte, an denen sich die Atombombe oder der Scharfschütze befinden könnten, haben unsere Leute noch nicht untersucht?«
      
    Luftige Ranken, fein geschnitzt und teils weiß lackiert, teils dezent mit Blattgold belegt, wanden sich verspielt um den Rokokosessel und ließen das prunkvolle Möbelstück fast schwerelos erscheinen. Die Polster waren bespannt mit scharlachrotem Samt, verziert mit silbernen und goldenen Arabesken, und auf der Rückenlehne prangte groß der doppelköpfige Lübecker Adler, die Flügel weit gespreizt und die Schnäbel drohend geöffnet, als müsste er zu beiden Seiten Feinde abschrecken.
    Noch war der Sessel aus dem Audienzsaal des Rathauses leer, aber schon bald sollte auf diesem Ehrenplatz am vorderen Rand der Tribüne Kaiser Wilhelm V. sitzen. Auf einem etwas bescheideneren, aber ebenso sorgfältig gearbeiteten Sessel zu seiner Linken würde dann der Bürgermeister Platz nehmen, während sich auf dem Pendant zur Rechten Feldmarschall Erwin Rommel niedergelassen hatte. Hinter ihm stand sein Adjutant. Der silberne Äskulapstab auf den Schulterstücken wies ihn als Sanitätsoffizier aus. Er würde sofort eingreifen, wenn das kleinste Anzeichen von Unwohlsein Anlass zur Sorge um den Feldmarschall gab; es wäre für ihn nicht das erste Mal.
    Rund um Rommel hatten sich Ehrengäste versammelt. Ehrfürchtig saugten sie jedes der äußerst sparsam dosierten Worte aus dem Munde des Marschalls auf und stellten ihm mit an Lächerlichkeit grenzender, aber absolut ernst gemeinter Zurschaustellung ihres Respekts für den berühmten Kriegshelden Fragen, die er bereits tausendmal vorher auf Empfängen oder bei Gedenkfeiern hatte ertragen müssen. Er hörte daher nur mit einem halben Ohr zu, sein Gehirn war mit anderen Dingen vollauf ausgelastet. Es war ohnedies gleichgültig, ob er die an ihn gerichteten Fragen richtig verstand, denn es spielte gar keine Rolle, was er antwortete. Er kannte seine Mitmenschen; niemandem hier würde es in den Sinn kommen, ihn auch nur andeutungsweise zu kritisieren.
    Eine dicke Frau mit riesenhaftem Hut auf dem glänzenden Kopf hatte sich offenbar schon vorher überlegt, mit welcher originellen Äußerung sie sich vor dem Feldmarschall in Szene setzen sollte, und erkundigte sich schrill: »Exzellenz, wer war Ihrer Meinung nach der größte aller Feldherrn?«
    Rommel, der diese Frage schon viel zu oft und in allen erdenklichen Variationen gestellt bekommen hatte, nannte den Namen des

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