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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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erstbesten römischen Heerführers, der ihm einfiel, und vertraute darauf, dass keiner der Umstehenden den seit zwei Jahrtausenden toten Tribunen kannte. In Gedanken jedoch formulierte er eine andere Antwort:
    Der beste Feldherr, Gnädigste, ist der Tod. Er kann noch so viele Schlachten verlieren, aber in der letzten bleibt er immer Sieger und gewinnt dadurch den Krieg.
      
    Der Polizist blickte streng unter dem Schirm des blanken Ledertschakos hervor und fixierte den Mann im abgewetzten Anzug, der vor ihm stand. Er verglich das verhärmte Gesicht mit der Fotografie in dem Ausweis, dessen graugrüne Pappe an den angestoßenen Faltkanten und Rändern zerfaserte. Der Schutzmann hatte Adolf Sievers, so lautete zumindest der im Ausweis eingetragene Name, dort bei den bulligen Türmen des Holstentores aufgegriffen, weil ihm dessen Erscheinungsbild und dessen Verhalten verdächtig erschienen waren: Nicht nur, dass dieser Mann unangemessen schäbig gekleidet war, er ließ darüber hinaus jegliche Begeisterung vermissen, die man bei einem solchen Anlass erwarten durfte. Wer ein so suspektes Betragen an den Tag legte, war mit großer Wahrscheinlichkeit ein sozialistischer Unruhestifter, vielleicht sogar ein Däne mit üblen Absichten, auf jeden Fall aber ein Subjekt, dem man auf den Zahn fühlen musste.
    »Wachtmeister Kröger, was ist mit dem Mann?«
    Die Stimme von hinten ließ den Polizisten umgehend Haltung annehmen, und Sievers nahm schnell den verbeulten grauen Hut vom Kopf.
    »Melde gehorsamst, Frau Polizeipräsidentin, er hat sich in auffälliger Weise hier aufgehalten. Daher habe ich ihn aufgefordert, mir seine Papiere zur Kontrolle auszuhändigen«, antwortete der Wachtmeister, als Alexandra Dühring neben ihn trat.
    »Lassen Sie ihn gehen«, wies ihn Alexandra an. »Achten Sie lieber auf Personen, die wirklich Verdacht erregen. Zum Beispiel solche, die lange Koffer oder Ähnliches bei sich tragen, in denen sich Waffen befinden könnten.«
    »Jawohl, Frau Polizeipräsidentin!« Der Polizist klappte den Ausweis wieder zu und gab ihn Adolf Sievers zurück, der sich erleichtert bedankte und dann eilig entfernte.
    Alexandra befahl dem Schutzmann nochmals nachdrücklich, besonders nach Leuten Ausschau zu halten, die etwas bei sich trugen, das auch nur im Entferntesten einem verpackten Gewehr ähnelte; dann ging sie weiter, unter dem Torbogen des Holstentores hindurch zum Hanseplatz.
    Äußerlich gab sie sich ruhig, wie schon den ganzen Morgen. Aber je weiter der Vormittag voranschritt und je näher die Ankunft des Kaisers rückte, desto mehr Kraft musste sie aufbringen, um die Maske gelassener Souveränität aufrechtzuerhalten. Ganz gelang es ihr jetzt schon nicht mehr; ihre Handflächen waren so feucht, dass sie die weißen Handschuhe bereits ausgezogen und in das Uniformkoppel gesteckt hatte, denn sonst wären sie bald durchnässt gewesen. Und auch das Lächeln fiel ihr zunehmend schwerer. Sie war eine stadtbekannte Persönlichkeit; alle Augenblicke grüßte jemand sie, und sie musste jeden Gruß erwidern, als wäre sie bester Stimmung. Lange würde sie diese aufreibende Schauspielerei nicht mehr durchhalten, das wusste sie genau.
    Sie durchschritt das Torgewölbe mit sehr schnellen Schritten, denn sie konnte den Geruch des Bratfetts nicht ausstehen, der sich dort ausbreitete. Unter dem Torbogen hatte nämlich mit behördlichem Einverständnis die Firma H. Himmler & Cie. Nachf. einen ihrer zahllosen gelben Imbissstände, die im ganzen Reich ein vertrauter Anblick waren, aufstellen dürfen.
    Die ›Himmler-Hähnchen‹, die dank der obskuren patentierten Zuchtmethoden des Firmengründers angeblich in Größe und Geschmack allen anderen überlegen waren, fand Alexandra schlicht ekelhaft. Ihr war unbegreiflich, wieso viele Menschen von den faden, fettigen Hühnerbeinen gar nicht genug bekommen konnten.
    Um nicht mehr ständig mit zwanghaft aufgesetztem Lächeln auf die Grüße Fremder reagieren zu müssen, steuerte Alexandra auf die für Zuschauer gesperrte Freifläche vor der Tribüne zu. Eine Kette von Feldgendarmen mit glänzenden Ringkragen hielt alle zurück, die unerlaubterweise dorthin vordringen wollten, aber die Polizeipräsidentin ließen sie auf der Stelle passieren. Nachdem sie jetzt endlich nicht mehr von Menschen umgeben war, verschränkte Alexandra im Gehen die Arme vor der Brust und biss sich unruhig auf die Unterlippe.
    Wo bleibt Fritz nur? , fragte sie sich. Schon fast eine halbe Stunde … er hätte

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