Kaisertag (German Edition)
einem der hinteren Räume des Fotoateliers Castelli geführt. Dort traf er auf Friedhelm Boyens, einen älteren Herren mit Glatze und Nickelbrille, der gerade eine Leica-Kamera reparierte und bei der diffizilen Arbeit gar nicht gerne gestört wurde.
»Entschuldigen Sie, wenn ich nicht aufstehe und Ihnen die Hand gebe«, murmelte er, ohne aufzublicken, »aber dies ist eine Tätigkeit, die keine Unterbrechung duldet. Womit kann ich Ihnen dienen?«
Der Detektiv bat Boyens um die Fotos, die er acht Tage zuvor von Diebnitz’ Leiche gemacht hatte, doch der Fotograf wollte sie ihm nicht aushändigen. Er bestand darauf, die Bilder in seiner Eigenschaft als vereidigter Polizeifotograf aufgenommen zu haben und sie daher nicht an Außenstehende weitergeben zu dürfen. Erst als Prieß erwähnte, die Polizeipräsidentin sei damit einverstanden, gab Boyens seine unnachgiebige Haltung auf. Allerdings wollte er sich erst telefonisch vergewissern, ob auch wirklich alles seine Richtigkeit habe, und verließ dazu den Raum.
Nervös trat Friedrich Prieß von einem Fuß auf den anderen. Hoffentlich kriege ich jetzt nicht die Quittung für gestern Abend , dachte er. Alexa war sicher unglaublich wütend … wenn sie mich jetzt bloß nicht auflaufen lässt.
Diese Befürchtung erwies sich jedoch als unbegründet.
Der Fotograf kam wieder und verkündete, jetzt merklich freundlicher, er habe mit der Polizeipräsidentin gesprochen und es sei ihm eine Freude, behilflich sein zu können.
»Ich danke Ihnen sehr«, meinte Prieß. »Kann ich die Bilder gleich mitnehmen?«
»Es ist mir äußerst unangenehm, aber das wird nicht möglich sein. Ich muss erst Abzüge von den Negativen herstellen. Doch wenn Sie sich morgen gegen Mittag wieder zu mir bemühen wollen …«
Da das Gespräch mit dem General seiner Einschätzung nach nicht übermäßig lange dauern würde, sagte Prieß zu, die fertigen Abzüge am folgenden Tag abzuholen.
»Sie haben wirklich großes Glück«, fügte Boyens lächelnd hinzu, »denn diese Fotos, an denen Ihnen ja wirklich viel zu liegen scheint, verdanken ihre Existenz nur dem Umstand, dass ich an dem fraglichen Morgen durch Zufall auf das Polizeikommando getroffen bin, das auf dem Weg zum Fundort der Leiche dieses bedauernswerten Mannes war. Ich hatte nämlich einige herrliche Fotos des Sonnenaufgangs bei einer gotischen Kapelle gemacht und befand mich gerade auf dem Rückweg. Da ich nun schon dort war, habe ich auch einige Bilder aufgenommen, aber für gewöhnlich werde ich nicht hinzugezogen, wenn die Lübecker Polizei Tatorte außerhalb des Stadtgebietes sichert. Nun, ich bin dann auch wieder abgefahren, bevor die Herren aus Kiel eintrafen. Ich vermeide es, Polizeifotografen mit Beamtenstatus zu begegnen, weil ihnen das künstlerische Verständnis fehlt – sie sind eher Handwerker und schrecklich phantasielos. Aber ich schweife ab. Sie sehen, eigentlich dürfte es diese Fotografien überhaupt nicht geben.«
Prieß nahm die Ausführungen des Fotografen mit einem Nicken zur Kenntnis und sprach ihm noch einmal seinen aufrichtigen Dank aus. Dann begleitete Boyens den Detektiv hinaus, verabschiedete sich in aller Form und verlieh noch der Hoffnung Ausdruck, bald wieder zu Diensten sein zu können.
Erleichtert, weil er endlich dem stechenden Geruch der Fotochemikalien entronnen war, atmete Prieß gleich viermal tief durch. Ohne Eile ging er dann die Breite Straße hinab, vorbei an der türmchengeschmückten Front des alten Rathauses. Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen, aber das war so gut wie unmöglich. In Lübecks wichtigster Geschäftsstraße, trotz ihres Namens eher eine schmale Schlucht zwischen überladenen Gründerzeitfassaden, herrschte jetzt zur Mittagszeit reger Verkehr. Die Schüler der umliegenden Gymnasien waren zahlreich und unüberhörbar in Gruppen unterwegs; bei den Jungen konnten Eingeweihte anhand der vorgeschriebenen unterschiedlichen Schülermützen auf den ersten Blick erkennen, welche Klasse in welcher Schule sie besuchten. Auf die nicht gerade kleidsamen, altmodischen Mützen waren ihre Träger allerdings keinesfalls stolz. Sie litten sogar sichtlich, wenn sie mit diesen Kopfbedeckungen den Schülerinnen der Mädchengymnasien, für die keine vergleichbare Kleiderordnung galt, unter die Augen kamen.
Dienstmädchen mit weißen Hauben und Schürzen schleppten überquellende Einkaufskörbe, ältere Herren mit Ehrfurcht gebietenden, sorgsam gestutzten Vollbärten schritten mit gewichtiger Miene
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