Kaisertag (German Edition)
wenn ich daran denke, dass früher ich immer derjenige war, der auf dich aufgepasst hat …«
»Na, na, na, wir haben aber auch einiges erlebt. Oder erzähl mir bloß, du erinnerst dich nicht mehr an die Sache mit dem Springbrunnen? Du weißt schon, 1966, in Hannover?«
Prieß prustete albern. »Das ist unvergesslich … ich frage mich ja bis heute, wie wir um das Verfahren wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses herumgekommen sind.«
Beide lachten schallend auf. Während sie Erinnerungen austauschten, gingen sie zwischen den Gebäuden und Grünflächen umher. Prieß war aufmerksam genug, um zu bemerken, dass sie nur scheinbar zwanglos umherschlenderten; tatsächlich lenkte Sonnenbühl ihn auf fast unmerkliche Weise geschickt auf einen bestimmten Weg und stellte dadurch sicher, dass er gar nicht erst in die Nähe von Einrichtungen gelangte, die er nicht zu Gesicht bekommen sollte.
Sie redeten über ihre gemeinsame Zeit beim 2. Hanseatischen Infanterie-Regiment, und Sonnenbühl war rücksichtsvoll genug, das vorzeitige Ende von Prieß’ militärischer Laufbahn nicht zu erwähnen. Bald hatten sie die Gebäudekomplexe des eigentlichen Forschungszentrums hinter sich gelassen und gingen auf einem ausgetretenen schmalen Pfad durch unbebautes Brachland.
Am Rande des Weges stand ein Feldwebel und beobachtete grimmig eine Wiese, auf der nichts weiter zu sehen war als einige verkrüppelte Obstbäume. Er machte keine Anstalten, vor dem nahenden Major zu salutieren.
»Der hat wohl nicht vor, dich zu grüßen«, bemerkte Prieß.
»Das soll er auch gar nicht. Er hat eine Aufgabe, und von der darf er sich nicht ablenken lassen, nur weil gerade ein Ranghöherer daherkommt. Überflüssige Formalitäten haben bei der Sonderbrigade keinen Platz, bei uns zählt nur Effizienz. Darum gibt’s bei uns ja auch keine tägliche Kontrolle, ob Stiefel und Koppelschloss auch schön glänzend poliert sind, keinen bis zum Erbrechen eingeübten Stechschritt, kein dauerndes Grüßen von Vorgesetzten und ähnliche blödsinnige Zeitverschwendungen. Das sollen die Kameraden im Bunten Rock machen, aber wir haben Besseres zu tun.«
»Wie der da? Der passt doch nur auf, dass niemand die Blätter von den Bäumen klaut, Max.«
Der Major schmunzelte nachsichtig und rief dann dem Feldwebel zu: »Ende der Übung, lassen Sie heraustreten!«
»Jawohl, Herr Major«, bestätigte der Soldat, zog eine mattschwarze Trillerpfeife aus der Brusttasche und blies einmal kräftig hinein. Kaum war der knappe, schrille Ton verhallt, da schien es, als würde die Wiese zum Leben erwachen. Überall standen Soldaten auf, die eben noch unsichtbar im buschigen Gras gelegen hatten. Insgesamt tauchten über vierzig Mann wie aus dem Nichts herbeigezaubert auf und traten vor dem Feldwebel in Zweierreihe an. Sie boten ein Bild, wie es Prieß noch nie zuvor gesehen hatte: Ihre Gesichter hatten sie mit breiten Streifen grünlicher und lehmbrauner Schminke bedeckt, über die Stahlhelme waren grobmaschige Netze voller Grasbüschel und Zweige gespannt. Ihre Uniformen unterschieden sich von allem, was Friedrich kannte; statt des normalen Feldgraus der Sonderbrigade trugen sie Jacken und Hosen, die über und über mit großen, unregelmäßigen Flecken in Braun und Grün bedeckt waren.
»Unfassbar«, staunte Prieß, als sich der Trupp im Laufschritt entfernte. »Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte … Was sind das bloß für seltsame Uniformen?«
»Geländetarnkleidung Sommer, auch Flecktarn genannt. Sehr praktisch, wenn man nicht sofort zur Zielscheibe werden möchte. Damit und mit der richtigen Ausbildung könnte man ein ganzes Bataillon sonntags im Berliner Tiergarten verstecken, ohne dass es jemand merkt. Tja, das ist was anderes als unsere Theatermanöver damals, nicht wahr, Fritz?«
»Ich hatte keine Ahnung, dass es so was gibt … Aber sag mal, ist das nicht geheim?«
Sonnenbühl zuckte mit den Schultern. »Kein bisschen. Wenn diese Methoden da draußen kaum bekannt sind, dann nur, weil die meisten Leute sie ignorieren. Selbst im Kriegsministerium denken die meisten, unser Geländetraining wäre unnütze Spielerei. Manche behaupten sogar, Tarnung sei ein Zeichen von Feigheit, ein deutscher Soldat würde sich nicht verstecken. Gut so, wir könnten das ohnehin nicht jedem dummen pommerschen Rekruten beibringen. Es reicht, wenn eine Elitetruppe diese Fähigkeiten besitzt. Und das ist die Sonderbrigade auch, darauf kannst du Gift nehmen. Neben unseren
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