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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Bruchstelle zwischen Wahrheit und Lüge erkennbar. Prieß wusste das gut, weil es zum täglichen Brot eines Privatdetektivs gehörte, mit großen und kleinen Unwahrheiten zu jonglieren. Und mehr als einer seiner Berufskollegen hatte schon auf unangenehme Weise erfahren müssen, dass Lügen gelernt sein will.
      
    Als Prieß später in seinem Hotelzimmer auf dem Bett lag und an die Decke starrte, drehten sich seine Gedanken ununterbrochen um das, was Lämmle gesagt hatte.
    Die gefährlichsten Feinde des Reiches … wer kann das sein? Spione eines anderen Landes vermutlich, vielleicht aus England, Russland oder Frankreich. Aber wieso glaubte Diebnitz dann, niemandem mehr trauen zu können? Er meinte, sie wären überall … Ist das überhaupt möglich? Vielleicht hat Lämmle das falsch verstanden, oder Diebnitz wollte damit etwas ganz anderes sagen. Rabenacker … ist Rabenacker einer der Spione, ein Verräter? Ja, so könnte es gewesen sein … Diebnitz hat ihn enttarnt, und Rabenacker hat dafür gesorgt, dass sein früherer Kamerad aus dem Weg geräumt wurde. Aber wenn Rabenacker zu den Reichsfeinden gehört, warum hat Diebnitz ihn dann nicht sofort festnehmen lassen, sondern ihm die Zeit gegeben, Mordpläne zu schmieden? Warum, warum, warum …
    »Scheiße, das passt alles nicht zusammen!«, entfuhr es Prieß. Er sprang vom Bett auf und ging ruhelos im Zimmer auf und ab. Krampfhaft versuchte er, die bruchstückhaften Fakten zu einem logischen Ganzen zusammenzufügen, aber es gelang ihm einfach nicht. Es war, als hätte er von einem Puzzle mit zehntausend Teilen nur eine Handvoll kleiner Stückchen und sollte erraten, wie das fertige Bild aussehen würde.
    Spekulationen, Fragen, Ideen rasten durch seinen Kopf, blitzten auf und verloschen dann schlagartig wieder. Die Wände des Zimmers schienen Prieß immer enger zusammenzurücken; trotz des offenen Fensters war es schwül und stickig. Dann wurde es ihm zu viel, er hielt es nicht länger in dem winzigen Raum aus. Er zog sich das Jackett über und setzte den Hut auf. Ein langer Spaziergang an der Abendluft, so hoffte er, würde das nervenaufreibende Chaos in seinem Hirn ein wenig mildern.
      
    Prieß ging in der einsetzenden Abenddämmerung durch die Straßen und achtete nicht weiter darauf, wohin ihn seine Schritte führten; in der Vorstadt St. Jürgen konnte man sich ohnehin nicht verlaufen. Erleichtert fühlte er, wie sich seine Gedanken langsam von Diebnitz, Rabenacker und den mysteriösen Reichsfeinden zu lösen begannen.
    Plötzlich, völlig unerwartet, hörte er eine Stimme, die ihm bekannt vorkam: »Junger Mann!«
    Überrascht blieb er stehen, blickte sich um und sah einen älteren Herrn mit Brille, der gerade dabei war, die verwelkten Tulpen im Vorgarten einer Villa abzuschneiden. »Verzeihen Sie bitte, dass ich Sie einfach anspreche … aber ich bin mir sicher, Sie zu kennen. Warten Sie, ich erinnere mich gewiss gleich …«, sagte der Mann mit der Gartenschere, der sich nun nachdenklich am nur noch spärlich behaarten Kopf kratzte. Erstaunt erkannte Prieß in ihm Professor Beinfeldt wieder.
    »Haben wir uns möglicherweise beim Physikalischen Kongress in Genf getroffen? Nein, das stimmt nicht. Oh, jetzt weiß ich es wieder. Sie haben am Institut Curie in Paris diesen beachtlichen Vortrag über die Messung des Kohlenstoff-Zerfalls gehalten«, vermutete der Gelehrte.
    »Leider nicht«, antwortete der Detektiv. »Ich bin Friedrich Prieß. Wir sind uns vor einigen Tagen in General Deuxmoulins’ Büro begegnet, Herr Professor.«
    »Ah, vergeben Sie mir den Irrtum. Bitte, kommen Sie doch herein.«
    Prieß trat durch die Pforte in den Garten und reichte Beinfeldt die Hand. »Es ist mir eine große Ehre, Herr Professor. Nicht jeder hat das Glück, völlig unverhofft auf einen so berühmten Menschen wie Sie zu treffen.«
    »Tulipa clusiana« , sagte der Professor, »die wundervollsten Farbkombinationen, doch leider empfindlich, sehr empfindlich.«
    Prieß war verwirrt, da er nicht die geringste Ahnung hatte, was Beinfeldt meinte. »Verzeihen Sie … ich fürchte, ich verstehe nicht ganz …«
    »Die Tulpen, junger Mann, die Tulpen. Eine herrliche Züchtung.« Er deutete mit der Hand auf das Beet mit den vertrockneten Blumenstängeln und fügte bekümmert hinzu: »Wie traurig, dass diese schönen Pflanzen keine Wärme vertragen … sie werden die Hitze nicht überstehen. Ausgesprochen bedauerlich …«
    Er wiegte betrübt den Kopf und meinte dann: »Junger Mann,

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