Kaisertag (German Edition)
noch einmal und blickte zurück auf Maximilian Sonnenbühl. Mit einer Hand klopfte sich der Major den Schmutz von der grauen Uniform, mit der anderen wischte er sich ein dünnes Rinnsal von Blut unter der Nase fort. Er sah dem Detektiv mit einem Blick hinterher, in dem sich auf seltsame Weise Besorgnis unter die pulsierende Wut zu mischen schien.
Als sich der Schlagbaum hinter ihm geschlossen hatte, trat Prieß so heftig auf das Gaspedal, dass die Vorderräder seines Autos kurz durchdrehten. Mit rotem Kopf und zusammengebissenen Zähnen riss er das Steuer herum und lenkte den Wagen erst auf die Ratzeburger Allee, dann durch Nebenstraßen. Ihm war völlig gleich, wohin er fuhr oder was um ihn herum passierte. Um ein Haar hätte er das Fuhrwerk einer Gärtnerei gestreift; das Pferd scheute und bäumte sich unter lautem Wiehern auf. Doch Prieß bemerkte es nicht einmal, so sehr kochte er vor Wut. Seine Hände umfassten das Lenkrad so fest, als wollte er jemanden erwürgen.
Erst als der Brennabor durch ein tiefes Schlagloch raste, brachte die plötzliche Erschütterung Prieß wieder zur Besinnung. Er steuerte den Wagen an den Wegesrand, hielt an, schloss die Augen und versuchte, langsam und tief zu atmen. Erschrocken fühlte er sein Herz so rasen, dass er wirklich fürchtete, es könnte jeden Moment vor der Überlastung kapitulieren. Als sich das Klopfen des lebenswichtigen Muskels in seiner Brust nach einer ganzen Weile endlich wieder verlangsamte, war er erleichtert.
Für einige Zeit verharrte Prieß in Regungslosigkeit. In seinem Kopf wechselten sich völlige Leere und wüste Gedankenbündel ab. Unfähig, sich zu rühren, blickte er starr geradeaus, ohne dabei wirklich etwas wahrzunehmen. Eine neugierige Krähe, die auf der Motorhaube landete und beim Anblick des Menschen hinter der Windschutzscheibe sofort wieder davonflog, weckte ihn schließlich aus der tranceartigen Benommenheit.
Er merkte, dass er dringend frische Luft brauchte, und stieg aus dem Automobil. Friedrich schaute sich um und fragte sich, wo er wohl sein mochte.
Links neben dem staubigen Feldweg zog sich ein engmaschiger, von Stacheldraht gekrönter Metallzaun von gut vier Metern Höhe dahin. An ihm waren in regelmäßigen Abständen Schilder befestigt, auf denen mit roten Blitzen und fett geschriebenen Hinweisen vor gefährlicher Hochspannung gewarnt wurde. Jenseits des undurchdringlichen Zaunes standen, von Bäumen fast völlig verdeckt, schmucklose Betonbauten. Prieß begriff, dass er, ohne es zu merken, um das Forschungsinstitut herumgefahren war und sich nun auf der Rückseite des Geländes befand.
Als er sich nach rechts wandte, sah er Wiesen und Weiden, durchzogen von Knicks und verwitterten Lattenzäunen. Ein morsches, moosbewachsenes Holzschild an einem Telefonmast verriet ihm, dass dies der Mönkhofer Weg war. In einiger Entfernung ertönte der durchdringende Pfiff einer Lokomotive, eine weiße Dampfwolke stieg hinter Büschen und Bodenwellen auf und bewegte sich gemächlich südwärts.
Die Nähe des Instituts war Prieß zuwider, aber er wollte sich jetzt nicht wieder ins Auto setzen und zurückfahren. Darum schloss er die Tür ab und ging den Mönkhofer Weg entlang. Die in träger mittäglicher Ruhe daliegende Landschaft half ihm dabei, sein aufgewühltes Inneres wieder unter Kontrolle zu bekommen, sodass er versuchen konnte, das Durcheinander seiner Gedanken und Gefühle ein wenig zu ordnen. Er schob den Hut in den Nacken, lockerte die Krawatte und kickte mit der Schuhspitze einen Kieselstein weit in das Gestrüpp neben dem Weg.
Schön, nun weiß ich also, wem ich den ganzen Mist zu verdanken habe … ich habe endlich meinen Schuldigen, dem ich die Verantwortung für mein versautes Leben zuschieben kann. Ach was, Blödsinn! In Wahrheit habe ich mir das meiste selbst zuzuschreiben, Alexa hat das schon immer gewusst. Diese Kanalratte hat mich beim Ehrengericht angeschwärzt, na und? Hätte ich mich damals anders verhalten …
»Yoo-hoo, Mr. Prieß!«, rief jemand und riss ihn so aus seinen Grübeleien. Die Stimme gehörte unverkennbar Yvonne Conway. Nach kurzem Suchen entdeckte er die Engländerin auf einem Hügel, der sich steil und völlig deplatziert etwa fünfzig Meter von der Straße entfernt inmitten der Wiesen erhob. Dort saß sie zwischen einigen dürren Bäumchen hinter einer Staffelei und winkte mit einem Pinsel.
»Please, join me up here«, rief sie ihm zu, »und leisten Sie mir ein wenig Gesellschaft!«
Mit der
Weitere Kostenlose Bücher