Kaleidoscope: Kriminalroman (German Edition)
September würden vom Carew Building nur noch Trümmer übrig sein. An seiner Stelle würde ein Wolkenkratzer errichtet. Neunundvierzig Stockwerke hoch. Neunundvierzig! Wie viel Zaster brauchte man, um so ein Ding zu bauen?
Er las die Sport- und Rennseiten und zündete sich gerade die dritte Chesterfield an, als eine Uhr ihn daran erinnerte, dass es Zeit war. Er drückte seine Zigarette aus und trank seinen Kaffee bis auf den Satz aus. Er konnte es sich nicht leisten, zu spät zu kommen.
Es dauerte ein paar Stunden, bis Jack sauber, neu eingekleidet und bewaffnet war. Gegen vier ging er über die Vine Street zum Milner. Es war ein schönes Hotel. Man betrat die Lobby durch knöcheltiefe Teppiche auf hochglänzend gebohnerten Eichenboden. Überall Gemälde, größtenteils große Ölbilder. Flusslandschaften des Ohio und des Mississippi. Die obligatorischen Porträts vom Gouverneur und General Grant. Alles in elektrischem Licht gebadet, das grell, teuer und größtenteils unnötig war. Es waren jede Menge Leute in der Lobby, was Jack gelegen kam. Ein Schriftband über dem Eingang zur Bar begrüßte die Teilnehmer einer Konferenz von Eisenbahnführungskräften. Die waren ziemlich leicht auszumachen: Herren über fünfzig oder sechzig mit Drinks und Zigarren und Flittchen mit viel Bein am Arm. Außerdem schwirrten die üblichen Pärchen herum, verliebt, verlobt, verheiratet oder ehebrechend.
Jack holte eine nagelneue Hamilton aus seiner Westentasche und verglich die Zeit mit der Schrankuhr in der Lobby. Er steckte seine Taschenuhr wieder ein und spielte mit der Uhrenkette wiemit Betperlen. Er hielt vor einem der vielen goldgerahmten Spiegel, um sich zu betrachten. Er fand, dass er gut in dieses Hotel passte. Der Mann, der ihn aus dem Spiegel anblickte, sah nicht aus wie irgendein Trottel, der sich abstrampeln musste, um an Geld und Schnaps zu kommen. Im Spiegel war ein glatt rasierter Mann zu sehen, ein junges Talent mit gutem Knochenbau in einreihigem Gehrock. Einfach geknüpfte Seidenkrawatte. Kragenknöpfe für sein dezent gestreiftes Hemd und ein neues Paar Cole-Haan-Schuhe.
Er zog seinen Krawattenknoten fest. So tun, als würde einem der Laden gehören, so machte man das. Als würde man dazugehören.
Als er zum Empfang hinüberging, sog er die atmosphärische Mischung aus französischem Parfum, kubanischen Zigarren und feschen Klamotten ein. Jack unterbrach seinen gemessenen Gang, um von einem Stand nahe der Rezeption eine Zeitung zu kaufen, und gab dem Mädchen ein Trinkgeld. Genug, aber nicht zu protzig. Er bemühte sich, sich von den Herren in Frack und Kummerbund, die in Blumentöpfe mit Farnen aschten, nicht einschüchtern zu lassen. Die Frauen in ihren hochmodernen kleinen Schwarzen flachbrüstig wie Knaben. Von ihren Zigarettenspitzen aus Elfenbein schlängelte sich Rauch zur Decke. Reiherfedern und Perlenreihen. Er brauchte dringend einen Drink; und es gab auch eine einladende Bar, direkt hinter der Lobby, die sich der Inspektion entzog. Man konnte keinen Alkohol kaufen, nicht mal im Milner, aber man konnte seinen eigenen mitbringen. Jack hätte sonst was gegeben, um sich an der Plauderei zu beteiligen, die sich als Raunen entlang der Messingstange der Theke erhob; Männer und Mädchen in gemischter Gesellschaft vereint. Aber er hielt sich zurück, faltete so gelassen wie möglich seine Zeitung und schlenderte an der Bar vorbei, um den Empfang zu erkunden.
Dort arbeiteten drei Leute. Ein älterer Mann mit dem Gebaren eines Pförtners. Der Kerl neben ihm sah schwul aus. Der dritte Angestellte hatte die Gästebücher im Auge. Keine Chance. Dann eben ein Hotelpage. Jack nahm sich Zeit, um sich den besten Kandidaten auszusuchen. Da war er, ein Junge, der Leuten für einTrinkgeld den Arsch leckte. Der Kinnriemen an den Rändern ausgefranst. Ein Wirrwarr widerspenstiger Haare quoll unter einem walzenförmigen Filzhut mit Paspeln hervor.
Jack schlenderte hinüber.
»Sir?«
»Ich suche ein Zimmer.«
»Sie müssen sich am Empfang anmelden, Sir.«
»Ich habe gesagt, ich suche.« Jack zeigte ihm seine Brieftasche. »Von Anmelden war nicht die Rede.«
Der Junge stieß Jacks Brieftasche von sich.
»Nicht hier.«
»Wo dann?«
»Am Aufzug.«
»Nach dir.«
Der Page schleppte auf dem Weg zum Aufzug ein paar Taschen.
»Ich habe nicht viel Zeit«, sagte der Junge.
»Das Zimmer ist schon reserviert worden.« Jack drückte ihm einen Dollar in die Hand.
»Auf den Namen Price. Sally Price.«
»Wollen Sie die
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