Kaleidoscope: Kriminalroman (German Edition)
ja sehen.«
Jack Romaine suchte humpelnd und trottend den Zoo ab, den Schlips über seinem schweißtriefenden Hemd gelockert und die Jacke über den Arm geworfen.
Sally war hier, irgendwo, sie musste einfach hier sein!
Er hörte ein ohrenbetäubendes Trompeten.
Also bei den Elefanten war sie nicht. Auch nicht bei den Affen. Oder im Arboretum … Er hatte wirklich alles abgesucht. Und wenn sie kehrtgemacht hatte …?
Er geriet wieder in Panik. Aber er machte sich was vor. Sie hätte kommen und wieder verschwinden können, ohne dass er sie bemerkt hätte. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, in so einem verdammten Zoo irgendjemanden zu finden?
Und wenn er sie gar nicht finden würde?
Was würde Bladehorn dann tun?
Jack dachte eine Sekunde lang an Flucht. Mit fünfhundert Dollar konnte man sich einen guten Vorsprung verschaffen. Er könnte sich Sohn und Schwiegermutter schnappen und einen Zug nehmen … Aber wohin?
Dreckskerle wie Bladehorn konnte man nicht abhängen. Jack war schon aus Chicago abgehauen und was hatte ihm das gebracht?
Jack blieb abrupt stehen, denn ihm kam ein Gedanke. Eher ein Hoffnungsschimmer …
Vielleicht war Sally gar nicht wegen der Tiere hier. Vielleicht wollte sie nur untertauchen.
Jack wischte sich die Stirn. Selbst wenn sie noch im Zoo war, wie sollte er vorgehen? Er müsste eine riesige Fläche durchkämmen. Kilometer!
Er beschloss, am See anzufangen. Es waren noch keine Boote auf dem Wasser. Und das Ufer? Na, klar! Der ideale Ort, um sich vor der Sonne zu schützen. Oder vor Blicken. Vor Verfolgern.
Wie viele Versteckmöglichkeiten könnte es am Seeufer geben? Wie lange würde es dauern, einmal um den See zu laufen?
Jack setzte seine Suche eilig fort.
Es war eine halbe Stunde später und beinah hätte er sie nicht gefunden. Jack hatte schließlich die andere Seite des Sees erreicht, außer Atem und schweißgebadet, als er einen Taubenschwarm sah, der sich mit einem Stockentenpaar um vor einer Parkbank verstreute Brotkrümel zankte. Auf dem Boden neben der Mülltonne lag eine Tüte. Oder war es eine Handtasche?
Es war die Wollhandtasche. Jack erkannte sie wieder. Sie hatte die Tasche bei sich gehabt, als sie in die Straßenbahn eingestiegen war.
»Runter da.« Jack scheuchte die Tauben von der Bank. Er vergewisserte sich, dass niemand ihn sah, als er Sallys Tasche durchstöberte.
Es war fast nichts drin. Eine Brille, zerbrochen. Unterwäsche. Ein paar Brotkrumen. Der Geruch von Chili und Zimt. Ihre krakelige Unterschrift auf der Empfangsbescheinigung aus dem Gefängnis … Verdammt, sonst nichts? Aber zumindest wusste er jetzt, dass Sally hier war. Oder hier gewesen war.
Als er sich hinkniete, um den Boden um die Bank herum zu inspizieren, schlug Jacks Herz so heftig wie damals im Krieg.
In der weichen Erde unter einem Teppich aus frisch aufgewirbelten Ulmen- und Ahornblättern waren Spuren zu sehen. Man musste kein Indianer sein, um zu erkennen, dass die Furchen daher rührten, dass etwas oder jemand von der Bank weggezerrt worden war. Hatte Sally ihre Absätze in den Boden gegraben? Und was war das? Er war zwar kein verdammter Mohikaner, aber war das nicht ein Stiefelabdruck? Auf Knien inspizierte Jack den Abdruck. Zu groß für eine Frau. Der Abdruck in dem feuchten Boden war am Absatz viel tiefer als an der Fußspitze. Leicht an der Fußspitze, schwer am Absatz. Als wäre die Person rückwärtsgelaufen.
»Ach, du Scheiße.«
Jack verfolgte über den Rand der Mülltonne hinweg die Bahn der aufgewühlten Erde und der Stiefelabdrücke bis zum See. Das Wasser am Ufer war flach. Enten zogen gerade Linien in die spiegelglatte Wasseroberfläche. Und dann sah er es.
»Heilige Maria und Josef.«
Im Laufen zog Jack Schuhe und Strümpfe aus und sprang in den Swan Lake. Es sah aus wie ein Dutzend Haarsträhnen, die wie eine Öllache auf dem Wasser trieben. Jack watete knietief hinein, um seinen Fund herauszufischen. Er streckte seine Hand aus und zerrte daran.
Sallys Skalp löste sich von ihrem blutigen Schädel.
KAPITEL VIER
Jack erbrach seinen geringen Mageninhalt in die Mülltonne neben der Parkbank.
»Oh Mann, oh Mann!«
Jack hatte auch schon vorher verstümmelte Leichen gesehen, hatte von Geschützen abgerissene Gliedmaßen gesehen, hatte Männer mit Wundbrand versorgt, Männer mit schrecklichen Kriegsverletzungen. Aber ein von Granaten oder Geschützfeuer zerfetzter Körper war ein anonymes Opfer. Diese Leiche hier sah aus wie fachmännisch geschlachtet, die
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