Kaleidoscope: Kriminalroman (German Edition)
menschenleer.
»In Ordnung.« Romaine kippte Wasser von seinem Hut. »Aber ich fahre.«
Tommys Modell T war mit handbetriebener Kupplung und Bremse ausgestattet und der Zwerg ließ Jack raten, wozu die dienten. Sie fuhren von Tampa aus genau Richtung Osten, bevor sie nach Süden abbogen. Blitz und Donner hatten nachgelassen, aber es schüttete immer noch wie aus Eimern, und zwei Spuren der modernen Asphaltstraße waren überschwemmt.
»Letztes Jahr erst fertig geworden.« Tommy plauderte wieder, als hätte er Jack schon sein ganzes Leben gekannt. »Bevor die Straße fertig war … Bei so einem Wetter, da stand einem das Wasser bis zu den Achseln.«
Ein heftiger Seitenwind brachte den Wagen auf seinen dünnen Reifen ins Schwanken. Jack hatte Mühe, das Automobil in der Mitte der Fahrbahn zu halten, die aussah wie der silberne Bauch einer Schlange.
»Geht bis nach Miami runter«, informierte Tommy ihn. »Deshalb wird sie auch Tammy Ammy genannt. Tampa-Miami, verstehst du?«
»Klar«, antwortete Jack knapp und der Zwerg brüllte vor Lachen, als wenn er gerade einen total genialen Witz erzählt hätte.
»Wie lange bleiben wir auf dieser Straße?«, fragte Jack, als sein Mitfahrer sich beruhigt hatte.
»Bis wir da sind«, antwortete Speck gut gelaunt. »Wir könnten durch die McKay-Bucht abkürzen, aber bei dem Regen …«
»Verstehe«, antwortete Jack. »Und wie weit ist dieses Kaleidoscope ungefähr?«
Tommy sah ihn leicht amüsiert an.
»Du weißt wohl gar nichts.«
»Ich wollte mich halt überraschen lassen«, antwortete Jack kühl.
»Also wir haben noch so fünfzehn bis zwanzig Kilometer vor uns.« Tommy legte einen seiner Kinderfüße auf das Armaturenbrett.
»Und wer genau sind wir?«
»Ach, wie schlau«, gluckste Tommy bösartig, und aus irgendeinem Grunde ließ seine deformierte Gestalt Jack erschauern. »Sehr schlau.«
Zwanzig Minuten später dirigierte Tommy ihn vom harten Asphalt herunter auf eine unbefestigte Straße, in deren Spurrillen das Wasser silbrig glänzte. An einer Seite floss ein Fluss entlang.
»Der Alafia«, informierte ihn Tommy. »Der Little Alafia, genau gesagt.«
»Wo ist denn der Big Alafia?«
»Auf der anderen Seite vom Little Alafia, Dummkopf.«
Eine rutschige Sandpiste führte durch eine Ansammlung von Wohn- und Lastwagen auf wirr verlaufenden Sandbänken zwischen Kiefern und Regenpfützen. Jede erdenkliche Art von Transportmittel stand dort herum: Lastwagen, Wohnwagen, Pferdefuhrwerke.
Was war das bloß? Ein Zigeunerlager?
»Hier abbiegen.«
Jack fuhr in eine sandige Allee und auf dauerhaftere Gebilde zu. Auf einer Seite der überschwemmten Piste ein paar Häuschen, eigentlich nur Hütten. Dann sah Jack hinter den Hütten ein Blechdach emporragen. Und dann sah er noch etwas anderes.
»Allmächtiger!«
Keine drei Meter von der Straße entfernt schritt ein Tiger in einem Käfig auf und ab. Reflexartig riss Jack das Lenkrad herum. Tommy packte seinen Arm. Ein überraschend fester Griff. Wie ein Schraubstock.
»Was ist denn, Jack?« Der kleine Mann sah ihn gelassen an. »Hast du’s noch nie mit wilden Bestien zu tun gehabt?«
Speck ließ seinen Arm los, Jack schaltete einen Gang runter und lenkte den Wagen wieder in die Mitte der Sandstraße. Links und rechts waren noch weitere Tiere zu sehen: Pferde und Lamas, eingepfercht hinter Zäunen. Ein Käfig voller Affen mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck. Eine flatternde Gruppe Flamingos.Ein einsamer Löwe, dem sein Käfigkönigreich, der Regen und auch alles andere gleichgültig zu sein schienen.
Jack konnte einen Elefanten hören, da war er ganz sicher!
Die Fanfare des Dschungels.
Dann strahlte ein Blitz wie von einer überdimensionalen Reporterkamera eine weitere Konstruktion an, die etwas abseitsstand und weiter die Straße hinunter hinter einer Gruppe Kiefern emporragte.
»Ist das ein Zelt?«
»Ja«, sagte Tommy, ohne näher darauf einzugehen, bevor er hinzufügte: »Okay, fahr hier ran. Nein, Dummkopf, auf meine Seite.«
Durch sein Fenster konnte Jack eine breite Veranda ausmachen. Dann zwei Stockwerke Schindeln mit einem spitzen Blechdach und einer Art Flagge darauf. Jack wischte über das beschlagene Wagenfenster. Das Gebäude auf der anderen Straßenseite hatte hinten einen Anbau, wie nachträglich drangeklebt – keine wirkliche Verbesserung. Von außen schien es wahllos mit grellbunten Werbeplakaten zugekleistert zu sein, auf denen fantastische Varietészenen und falsche Exotik zu sehen waren. Über
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