Kaleidoscope: Kriminalroman (German Edition)
hören.
»Lass mich raus! Lass mich raus!«
Sie würgte einmal, der Frosch fiel aus ihrem Mund und hüpfte quicklebendig von der Theke in die Freiheit.
Die Freaks jubelten. Jack fühlte sich plötzlich benommen. Verwirrt.
»Hier.« Half Track schob ihm eine dampfende Schüssel unter die Nase. »Davon bekommst du Haare an den Füßen.«
»Vielleicht nehme ich doch nur Kaffee.«
»Was ist los, Jack?«, fragte eine neue Stimme. »Ist Ihnen der Appetit vergangen?«
Luna Chevreaux war von ihrem regennassen Hemdkleid in ein trockenes geschlüpft. Sie ging langsam durchs Café, hochgewachsen, ihre Schultern nackt. Jack konnte die hohen Hügel ihrer Brüste und die konkave Kurve ihres Bauchs darunter nicht übersehen. Ihr rabenschwarzes Haar fiel über den endlos langen Rücken.
Aber etwas an Luna war eigenartig, ein Detail, das ihm im Bahnhof nicht aufgefallen war, vermutlich getarnt durch das düstere Wetter und auf die Entfernung nicht erkennbar. Ihre Haut. Lunas Haut war nicht braun, wie man es nach vielen Jahren in der Sonne erwarten würde. Aber sie war auch nicht weiß. Und auch nicht schwarz.
Ihre Haut war blau.
Nicht blau wie auf Flaggen oder wie Rotkehlcheneier oder der Himmel im Sommer. Es sah eher so aus, als wäre sie von ihren in Sandalen steckenden Füßen bis hin zu den Wurzeln ihrer pechschwarzen Haare von Blutergüssen bedeckt.
»Was ist los? Hat’s Ihnen die Sprache verschlagen?«
»Nein.« Er hatte einen trockenen Mund. »Es ist nichts.«
»Lügner«, sagte sie, und ein Zischeln breitete sich vom Tresen über die ganze deformierte Bagage aus.
Selbst auf die Theke gelehnt schaute Luna noch auf Jack herunter.
»Sie glauben doch wohl nicht, dass Ihnen irgendjemand Ihre Geschichte abnimmt, oder, Jack?«
»Geschichte?«
»Sie sind kein Schausteller.«
Zischhh … Jack schätzte die Entfernung zur Tür ab.
»Warum sind Sie hier?« Sie zog sich einen Hocker heran.
»Ich w … will noch mal ganz neu anfangen.«
Sie lächelte spröde. »Hier fangen alle immer ganz neu an.«
»Dann bin ich genauso wie alle anderen dran.«
Luna schüttelte den Kopf.
»Da irren Sie sich, Mister. Hier sind wir die normalen Leute, verstehen Sie? Wir leben hier. Wir essen und trinken und scheißen und vögeln hier auf dem kleinen Sandhaufen am Fluss undniemand, niemand sieht uns an, als wären wir irgendwie seltsam oder zurückgeblieben oder als wenn ein Fluch auf uns lasten würde.
Wir sind in Kaleidoscope die Normalbürger und Sie, Jack, oder wie Sie heißen, Sie sind hier die Missgeburt.«
Jack blickte in ihre Achataugen.
»Alles klar, ich bin die Missgeburt. Und wie sieht’s mit Arbeit aus?«
Sie streckte die Hand aus, um das Kriegsandenken an seinem Revers zu begutachten.
»Woher haben Sie das?«
»Das habe ich geklaut«, sagte er schroff und beinah hätte sie gelächelt.
»Half Track?«
»Ja, Boss?«
»Tommy soll ihm ein Zimmer geben. Aber keinen Kredit.«
Sie nahm ihre mondblaue Hand von seinem Revers und ließ sie vor seinem Krawattenknoten verweilen.
»Der hier zahlt bar.«
KAPITEL SIEBEN
Als Jack aus dem Café kam, hörte er in der Ferne noch Donner rumpeln wie Bowlingkugeln. Kein zuckender Blitz erhellte die Sandpiste, aber vereinzelte, dicke Regentropfen fielen wie Silberkugeln von Blechdächern und Kiefernzweigen. Die einspurige Straße, die die verstreuten Fahrzeuge und Hütten der Siedlung miteinander verband, war nur noch ein Morast. Falls dies wirklich Alex Goodmans Versteck gewesen sein sollte, war Jack nicht sonderlich beeindruckt. Wer raffiniert genug ist, eine Viertelmillion in Wertpapieren zu klauen, müsste doch in der Lage sein, einen besseren Unterschlupf zu finden als dieses Drecksloch.
Er versuchte, den Pfützen auszuweichen, um zur Sugar Shack auf der anderen Straßenseite zu kommen. Half Track hatte ihn dorthin geschickt. Es war kaum mehr als ein Schuppen, nur wenig besser als die Baracken aus unbehauenem Holz und Blech ringsum. Eine Fliegengittertür an wackligen Scharnieren führte in eine Art Büro. Darin ein niedriger Tresen mit einer Zigarrenkiste darauf und dahinter ein Brett mit einem halben Dutzend Schlüsseln mit bunten Anhängern. Tommy Speck kletterte von einer Apfelsinenkiste herunter, um einem seltsamen Paar, das am Tresen wartete, einen Schlüssel zu geben.
»Ich weiß nie, was ich mit diesen Kerlen machen soll«, sagte Tommy gut gelaunt, während Jack den Schlamm von seinen Straßenschuhen kratzte.
Zwei Köpfe wandten sich in Jacks Richtung. Zwei
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