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Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI

Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI

Titel: Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grafit
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spät … Nimm mich wenigstens mit!«
    Wenn sie ihn da stehen ließ, lief er womöglich, bekifft wie er war, ins nächste Auto. Sandy seufzte. Familie!
    Sie zeigte nach hinten. »Gepäckträger!
    Mit Dennis im Gepäck brauchte Sandy länger als die üblichen zehn Minuten für die vier Kilometer bis ins Zentrum von Kamen. Sobald sie die Seseke überquert hatte, empfing sie in der Altstadt als Erstes die Blasmusik des Bergwerksorchesters. Dann kam der Geruch von Glühwein und Bratwürsten dazu, der durch die Gassen wehte. Und schließlich erreichte sie den Marktplatz. Die überdachte Bühne, die Fressbuden, ein Festzelt und die Eislaufbahn. Trotz des ungemütlichen Dezemberwetters war eine Menge Leute unterwegs, gut eingepackt in Allwetterjacken und die Nasen gerötet vom Glühwein, den es offenbar an jedem dritten Stand gab. Ihren Vater erkannte Sandy bereits von Weitem: eine Schnapsleiche, den Kopf auf dem Tresen einer Glühweinbude abgelegt. Auch ihre Oma entdeckte sie. Mit einem demonstrativ zur Schau getragenen, gnadenreichen Gesicht verteilte sie mit ihren Freundinnen der Gemeindehilfe und unter Aufsicht des Pastors ihre Barbarazweige.
    »Ey danke, Sandy, wirklich!« Dennis sprang von ihrem Gepäckträger und winkte mit der Ernsthaftigkeit, wie sie nur Bekiffte zustande bringen, in die Menge. »Murat! Hier! Wir sind hier!«
    Murat stand am Crêpestand und mümmelte offenbar in einem Fressflash eine doppelte Nutellacrêpe. Als er sie sah, stopfte er sich den Rest in den Mund und taumelte auf sie zu.
    »Ey, Alter!« Er gab Dennis mit nutellaverschmierten Fingern High Five. »Geht das jetzt klar mit dem Schlüssel?«
    Sandy runzelte die Stirn. »Dem Schlüssel?«
    »Na ja, also … ähm.« Dennis räusperte sich. »Bei Murat auf dem Hof können wir das mit dem Gras nicht machen, weil, da ist ständig die Polizei, wegen seinem Cousin. Du weißt schon, dem Dealer. Aber wir müssen das heute machen, weil ja Barbaratag ist.«
    »Und bei euch in der Wohnung geht das auch nicht, klar …«, fügte Murat hinzu. »Die ist zu klein und eure Oma würde das nicht erlauben.«
    »Und da dachten wir …« Dennis druckste herum.
    »Na ja, du hast doch noch den Schlüssel zum Personaleingang vom Hertie «, kam Murat auf den Punkt.
    Das alte Hertie – Haus in der Kampstraße stand jetzt schon seit mehr als drei Jahren leer und verschandelte die Umgebung. Nur das Parkdeck wurde noch benutzt – vorwiegend von Jugendlichen, die in Ruhe kiffen wollten, und Autofahrern, die sich daran nicht störten. Bis im August 2009 die Lichter im Hertie ausgingen, war Sandy dort Verkäuferin bei den Haushaltswaren gewesen – und in dem Durcheinander der Schließung hatte man irgendwie vergessen, ihr den Personalschlüssel abzunehmen.
    »Ihr wollt …? Spinnt ihr?«
    »Bitte, Sandy, das ist perfekt«, bettelte Dennis. »Da ist Platz genug und die Polizei kommt da nie drauf!«
    »Wir bauen einen Kellerraum zum Gewächshaus aus«, schob Murat hinterher. »Wir haben alles, was wir brauchen, das ganze –«, und seine Zunge verknotete sich beinahe beim Versuch es auszusprechen, » Grow Equipment . Teichfolie, Silikonkitt, 600-Watt-Lampen, Luftabsauger. Ist alles auf dem Dachboden bei meinem Cousin. Müssen wir nur rüberschaffen.«
    » Grow Equipment ? Teichfolie?« Sandy runzelte die Stirn. »Ihr schafft es ja noch nicht mal, einen Eimer Wasser umzukippen.«
    »Wir schaffen das«, beteuerte Dennis. »Glaub mir. Und wir müssen das heute machen. Wegen der Barbara. Du musst uns einfach den Schlüssel geben.«
    Sie wollte widersprechen, doch die Müdigkeit machte sich bemerkbar. Sie hatte keine Kraft mehr für eine Diskussion über die heilige Barbara, Marihuana, Hertie und das ganze Grow Equipment . Also gab sie sich geschlagen.
    »Danke, Sandy«, sagte Dennis. »Ich schwöre, damit retten wir die Familie.«
    »Schon klar.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber seid bloß vorsichtig. Gegenüber vom Hertie wohnt der alte Apotheker aus Omas Kirchengemeinde. Der sitzt den ganzen Tag am Fenster. Lasst euch nicht von dem erwischen.«
    »Das machen wir nicht. Wir schwören.«
    Zwei Schuljungen, die sie mit großen Augen ansahen. Sandy schüttelte resigniert den Kopf, setzte sich wieder aufs Rad und fuhr endlich nach Hause.
    Ein paar Tage später lauerte ihr Jens König bei IKEA in der Deko-Abteilung auf. Mit seinem schlecht sitzenden Anzug und dem teigigen Gesicht tauchte er plötzlich neben der Baumdekoration Kallt auf. Er betrachtete sie lüstern von oben bis

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