Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI
mag keinen Small Talk. Was wollen Sie von mir?«
Richard Joon zog einen der Drehstühle heran und setzte sich. »Herr Pauli, Dieter Sandner wurde gestern Nachmittag tot aus dem Kanal gezogen und wir haben Grund zu der Annahme, dass Sie Ihren Freund und Exkollegen getötet haben!«
Pauli beugte sich vor. »Und warum sollte ich so etwas tun?«
»Um zu vertuschen, dass nicht er die letzte Tour von Werne aus am Sonntagabend auf der R 81 gefahren ist, sondern Sie ! Es gibt da eine paar Fotos in Sandners Wohnung, die zeigen, dass Sie ein gemeinsames … ähm, Hobby hatten. Hübsche Bilder! Sie beide und Ihre ›Begleiterinnen‹! Bestens gelaunt auf Ihrem Boot in der Marina. Mädels und Alkohol, das waren die Schwächen vom Sandner. Weil er gesoffen hat, hat er den Job bei der VKU verloren. Sie haben ihn hintenrum als Fahrer des Vertragsunternehmens wieder reingebracht. Auf die R 81. Weil Sie ihn da brauchten.«
»Ach? Wie das denn?«
»Weil man einem Quartalssäufer ganz leicht alle paar Wochen die Tour abnehmen kann, wenn man ihm ein nettes Wochenende mit ’ner bekoksten Nutte und jeder Menge Bölkstoff auf dem Boot anbietet. Dafür sind Sie dann mit dem Bus – ganz inkognito – eine kleine Extratour gefahren.«
Pauli sagte nichts. Das Einzige, was sich im Büro bewegte, war das 3-D-Modell des Bootes auf dem Monitor.
Joon sagte: »Blöd nur, dass da an Weiberfastnacht plötzlich einer von diesen nervigen Pufferküssern in seiner französischen Bullenuniform auftaucht, der sich wundert, wieso immer wieder sonntags ausgerechnet die letzte R 81 die immer gleichen Stationen schlabbert. Musste da wohl jemand die Zeit reinholen, die er vorher brauchte, um etwas unter dem Bus festzuschrauben?«
Ottmar Pauli erhob sich. Joon deutete auf das Messer in Paulis Hand. »Legen Sie das doch bitte auf den Tisch, Herr Pauli.«
Pauli tat es. Er stand nun direkt vor Joon und beugte sich hinunter, nah vor sein Gesicht. »Für all das«, sagte er, und Joon konnte seinen sauren Kaffeeatem riechen, »haben Sie nicht einen einzigen stichhaltigen Beweis.«
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zu dem Betriebsratszimmer und Milleck kam herein. Im Schlepptau hatte er Vobis, den Pufferküsser mit den hektischen Flecken, gefolgt von Betriebshofleiter Uwe Packen.
»Doch, ich denke, den haben wir! Wenn Sie erlauben?« Milleck schob Pauli zur Seite und drückte dann Vobis auf den Stuhl des Betriebsrates. Der Nerd zog fast reflexartig das Keyboard und die Maus von Paulis Computer heran, rief einen Internetbrowser auf und tippte etwas ein.
»Herr Vobis war so nett und machte uns darauf aufmerksam, dass die Pufferküsser, Verzeihung, die Busfreunde Unna , bestens über die sozialen Netzwerke vernetzt sind. Und das hier …« Milleck deutete auf die Internetseite, die Vobis aufgerufen hatte, »ist so ein Netzwerk. GooglePlus . Herr Vobis hat sich da gerade mit seinem Account angemeldet. Und jetzt gucken Sie mal, was passiert. Herr Vobis …« Der Nerd mit dem grünen Zopfpulli zog ein Smartphone aus der Tasche und schoss ein Foto von Ottmar Pauli.
Der Betriebsrat wirkte ein wenig überfordert. Und, wie Joon zufrieden registrierte, verunsichert. »Und was soll das jetzt werden?«, fragte Pauli.«
»Wenn Sie mal schauen wollen …«, sagte Milleck. In den GooglePlus – Kreisen der Busfreunde Unna erschien das Foto von Pauli, das der Nerd soeben gemacht hatte.
»Tolle Sache, nicht wahr?« Milleck klopfte Vobis auf die Schulter. »So was nennt sich ›Sofort-Upload‹ – wenn Sie das richtige Telefon und die richtige Einstellung haben, wird jedes Foto, das Sie machen, sofort auf Ihren Account geladen. Und Detlev Woelke hatte das richtige Fotohandy, als er in der Nacht auf den R 81 gewarte hat, um ihn für die Busfreunde Unna abzuschießen. Und wenn Herr Vobis jetzt mal die GooglePlus – Seite von Detlev Woelke öffnet …«, der Nerd klickte und ein Fotostream öffnete sich, »… dann sehen wir das letzte Bild, das Woelke in jener Nacht mit seinem neuen Handy gemacht hat!«, sagte Milleck.
Auf dem Monitor schien aus der Schwärze der Nacht ein hell erleuchteter Bus auf den Betrachter zuzufahren. Der Mann hinter dem Steuer war etwas unscharf geraten. Aber von der Statur und der Haltung und vor allen mit seinem ausladenden Schnauzbart sah er aus wie die schlechte Kopie eines legendären polnischen Arbeiterführers.
Freitag, 16.11.2012. Elf Uhr am Vormittag.
Polizeipräsidium Dortmund, Markgrafenstraße, Zimmer 204.
»Mutter
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