Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI
der Bus mit dem Koks ist da!«, las Michael Milleck die Schlagzeile im Kamener Lokalteil der WAZ. Es war nicht klar, ob Richard Joon ihm zuhörte. So, wie er auf den Bildschirm seines Rechners starrte. »Polizei deckt dank Pufferküsser Kokainverteiler mit Linienbus am Kamener Kreuz auf«, las Milleck weiter, »Stoff kam aus Holland via Marina Rünthe. – Das ist Presse, die dem Chef gefällt.«
Joon tippte etwas auf seinem Computer. Milleck nahm an, dass er noch letzte Hand an den Papierkram des Falls Woelke legte, den sie gestern mit einem Geständnis Paulis abgeschlossen hatten.
Joon hob den Blick und peilte kritisch zu Milleck herüber.
»Was?«, fragte Milleck.
»Was bist du? Eine 46 oder eine 48?«
Milleck hob eine Augenbraue. »Konfektionsgröße? Wer will das wissen?«
Joon grinste. »Du kriegt einen Crashkurs Fastelovend. Karneval. Rheinischen Frohsinn. Von Martina und mir. In zwei Wochen ist Festsitzung der Vringsveedeler Dschungelbrööder . Ich bestell dir gerade das Kostüm dafür!«
»Das wagst du nicht!« Innerhalb von Sekunden war Milleck bei ihm und starrte auf die Interseite des Kostümversands.
»Du wirst bombig aussehen«, meinte Joon zufrieden. »Sandbraune Jacke und Hose, schwarzes Koppel und Schulterstücke, das schwarze Käppi … für zweihundert Euro ein Schnäppchen.«
Barbaratag
Die heilige Barbara ist die Schutzpatronin der Geologen und der Bergleute, aber sie hilft auch gegen Blitzschlag und Feuer. Ihr Gedenktag ist der 4. Dezember und traditionell werden am Barbaratag Zweige von Obstbäumen oder Forsythien geschnitten, die dann spätestens am Weihnachtstag trotz der winterlich kalten Jahreszeit in der Vase blühen sollen (was natürlich auch daran liegen kann, dass es im Wohnzimmer wärmer ist als draußen). Junge Mädchen, die jeden Zweig einem ihrer Verehrer zuordnen, können am ersten Zweig, der erblüht, ablesen, welcher der jungen Männer am besten zu ihnen passt. Trotzdem sollte sich niemand auf das Barbara-Orakel verlassen, wie die Story von Stefan Holtkötter zeigt.
Stefan Holtkötter
Barbara hilft auch in Kamen
»Mach deine Kasse dicht, Sandy.«
Sie schrak auf. Verdammt. Hatte sie etwa schon wieder geschlafen? Das konnte sie inzwischen wie ein Pferd: einfach fest auf den Beinen stehen, die Augen schließen und wegdämmern. Sie blinzelte. Die grellbunten Christbaumkugeln Yrsnö und die Lichterkränze Skina aus der Aktionsware blendeten sie. Weihnachten feiern wie die Schweden war der Slogan. Mit bergeweise blinkendem Plastikschrott. Der Teamleiter in seiner gelb-blauen IKEA – Uniform schien nicht sauer auf sie zu sein. Im Gegenteil. Er blickte eher mitleidig.
»Heute ist eh nichts los«, sagte er. »Geh nach Hause und schlaf dich aus. Ich pass schon auf, dass keiner was merkt.«
»Ja, schlafen«, sagte Sandy. In einem Bett. Was für ein wundervoller Gedanke. Seit Wochen arbeitete sie fast rund um die Uhr, tagsüber bei IKEA und nachts als Aushilfe in Ahmeds Atatürk-Grill an der Stormstraße. Sie war fest entschlossen, alles zu tun, um das Geld für die Mietrückstände zusammenkriegen. Dreitausend Euro. Die fristlose Kündigung war längst gekommen, die Räumungsklage lief, und wenn sie das Geld bis Weihnachten nicht hatte, würden sie Silvester alle auf der Straße stehen. Sandy und ihre ganze chaotische Familie.
Es war eine absurde Hoffnung, ein Aufbegehren gegen jede realistische Einschätzung ihrer Lage, die sie antrieb. Denn es war im Grunde egal, wie viel sie arbeitete – sie würde das Geld niemals rechtzeitig zusammenbekommen. Und vom Rest ihrer Familie war nicht viel Hilfe zu erwarten. Seit ihrem Vater wegen mangelnder Kooperation das Hartz IV gestrichen worden war und ihre Oma im religiösen Wahn beschlossen hatte, den Großteil ihrer mickrigen Rente per Dauerauftrag der Piusbruderschaft zu spenden, war Sandy quasi die einzige, die noch Geld nach Hause brachte.
Ihr Vermieter, Jens König, ein stadtbekannter, schmieriger Immobilienhai, hatte ihr in Anbetracht der Situation bereits zu verstehen gegeben, wie er sich die Lösung ihres Mietproblems vorstellte. Mit spitzen, schwitzigen Fingern hatte er an ihrer Schulter rumgefummelt und notgeil geflüstert: »Du kannst doch bestimmt eine Internatsuniform auftreiben, oder? So ein Schulmädchending, verstehst du? Wir könnten uns an den Weihnachtstagen ein bisschen amüsieren. Dann gebe ich euch einen Aufschub. Aber bring Rollschuhe mit. Und flechte dir Zöpfe.«
Dabei hatte er sie angegrinst, als wäre
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