Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI
fasste eine kalte Hand nach ihr. Hatte die Oma nicht dauernd mit Murats Cousin im Wohnzimmer gehockt? Hatten sie da tatsächlich nur über Jesus geredet? Sandy dachte an den alten Apotheker, der gegenüber vom Hertie – Haus wohnte.
»Sag mal, Oma. Meinst du, ein Apotheker könnte Strychnin besorgen?«
Sie sah überrascht auf. Ihre Augen verdunkelten sich.
»Ich weiß nicht, wovon du redest.«
Das Telefon klingelte. »Jens … Herr König … Ihr Vermieter«, sagte eine Frau mit belegter Stimme am anderen Ende. »Er war mein Bruder …«
»Oh«, sagte Sandy. »Ich meine: mein Beileid!«
»Die Kripo hat mich informiert und ich verschaffe mir gerade einen Überblick hier in seinem Büro … was ich sagen will: Ich habe diese Räumungsklage gegen Sie gefunden … Das geht natürlich nicht. Sie bleiben in der Wohnung und wegen der Miete finden wir eine Lösung.«
»Da… danke!«, stammelte Sandy. »Frau …«
»König«, sagte sie. »Barbara König!«
Sandy starrte noch auf den Hörer, lange nachdem die Anruferin aufgelegt hatte. Ihre Oma hatte die letzten Zweige geordnet, trat zurück und schlug ein Kreuz. »Sankt Barbara, dir sei der heut’ge Tag geweiht. Dich ehren wir und froh erschalle ein Lied zu dir in Dankbarkeit.«
Nikolaustag
Der Nikolaustag am 6. Dezember ist der Todestag des Bischofs Nikolaus von Myra, der in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts lebte. Weil er nachts drei jungen Frauen mit einem Goldgeschenk aus der Not half, entwickelte sich daraus im Mittelalter der Brauch des Schenkens. Heute finden Kinder in ihren Schuhen, die sie am Abend zuvor vor die Tür gestellt haben, kleine Überraschungen. Die hat der Nikolaus über Nacht gebracht, als Belohnung für gutes Benehmen und gute Noten. Dass der Bärtige aber noch ganz andere Präsente parat hat, beweist die Story von Edda Minck.
Edda Minck
Stumpfes Trauma in Bergkamen oder: Lionel is coming to town
Ho, ho, ho, kann ich reinkommen? Ich hab gehört, das Shoppingcenter sucht einen neuen Nikolaus …
Hier sitzt du also … Überwachungszentrale! Ho, ho, ho …
Mein Gott, Werner, erkennst du mich nicht?
Ich bin es, Lionel. Heideschule, Overberg. Klingelt’s?
Rischtisch!
Ich hab dich vorhin unten gesehen, als euer Nikolaus ’n Abgang gemacht hat … Bist ein bisschen spät eingetrudelt, hast es dann aber gut im Griff gehabt, sicherheitsdienstmäßig, Kompliment. Stabile Seitenlage, Notarzt, absperren, alles wie aus dem Lehrbuch. Doch, doch, du machst hier ’nen guten Job in deiner Überwachungszentrale.
Aber nach Hightech sieht das hier ja nicht gerade aus. Komm, gib’s zu – hier wird gar nichts aufgenommen. Aber draußen die dicken Schilder hinhängen: Unser Sortiment wird dauerhaft videoüberwacht!
Also, nee, Werner. Du bist ein Spaßvogel. Wen willst du mit deinen Pappkameras eigentlich erschrecken?
Ich setz mich mal. Kann man besser reden.
Und jetzt lass mal die Luft raus. Um den alten Dittmann ist es doch nicht schade. Jeder muss sterben. Der eine früher, der andere später. Bei dem war früher noch nicht früh genug.
Dittmann … der schlechteste Nikolausdarsteller der Welt.
Ja, den hab ich gekannt. Flüchtig. Sozusagen. Nee, der kommt nicht wieder, glaub mir. Der is hin, hundert Pro, schließlich hab ich ihm das Licht ausgeblasen.
Was? … Und ob ich das war!
Im Affekt? Nee, Affekt ist nicht mein Stil. Das war geplant.
Nikolausgeschenk für meine Oma. Der war Blockwart in der Schrebergartenanlage – und der musste weg. War höchste Zeit.
Der immer mit seiner Wassersparerei. Das kann er zu Hause machen, bei seiner Ollen. Aber nicht im Schrebergarten, wenn bei meiner Oma im Sommer die Himbeeren eingehen, weil der wieder das Wasser abgedreht hat. Und immer mit seiner Kantenbürste die Pflastersteine vor seiner Laube am Schrubben und bei den andern am Meckern, wenn da wieder ein Grashalm aus der Wiese hochguckt.
Mann, die Kleingärtner von Haus Aden zünden heute Freudenfeuer an. Wirst sehen, die ganze Barbarastraße eine einzige Partymeile. Sag jetzt bloß nicht, dass ihr hier im Shoppingcenter nicht gemerkt habt, was der für’n Arsch war. Wie ist der überhaupt an die Stelle als Nikolaus gekommen? Hat ’ne fette Rente und nimmt irgendeinem Studenten noch den Job als Nikolaus weg … so was kann ich leiden! Da staunst du, was ich alles weiß.
Nee, ich wohn schon lange nicht mehr in Bergkamen. Ist mir gleich nach dem Abitur zu klein geworden. Ich wollte was von der Welt sehn, auch mal weiter kommen als
Weitere Kostenlose Bücher