Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI
Haare bis über die Schultern fielen. Sie hielt ein Schild vor die Brust und Fritsche las: Sugardaddy!
Sugardaddy! Sugardaddy!
Sugardaddy!
Fritsche rieb sich die Schläfen.
Diese Drecksau! Diese Drecksau von Vater!
Er hörte, dass jetzt auch Ines aufstand und drehte sich seufzend zu ihr um.
»Und nun?«, fragte sie. »Soll ich zurückfahren oder hast du eine Idee, wie wir den angebrochenen Nachmittag noch einigermaßen befriedigend gestalten können?«
»Lass uns die Fotos machen«, sagte er matt.
»So, wie ich bin?«
»Bei den Elefanten«, sagte Fritsche. »Den Trail entlang.«
Sie schmatzte genüsslich.
»Von Rüssel zu Rüssel?«, fragte sie.
Fritsche fand ihren Humor inzwischen äußerst grenzwertig. Er würde diese Beziehung doch schon bald wieder kappen müssen.
Sind die Mädel erst mal älter, werden die Gefühle kälter.
Tilde Fritsche stellte ihrem Bruder den Lieblingskrug ihres Mannes hin, einen Humpen mit Zinndeckel. Sie schenkte ihm das Bier ein und füllte auch die beiden Schnapspinnchen. Die Geschwister prosteten sich damit zu.
Fred Meisenkötter strich über seinen Schnauz. Er trug noch seine Uniform. »Das muss aber unter uns bleiben«, sagte er. »Kein Wort zu Oliver.«
»Wann rede ich schon noch mit ihm?«
»Was weiß ich.«
»Du wohnst direkt über uns. Du würdest es hören.«
Fred schüttelte den Kopf. Er nahm einen großen Schluck aus dem Humpen und beäugte dann genauer die Aufschnittplatte.
»Ich hab’s sozusagen zufällig erfahren«, sagte er. Er entschied sich für die daumendick geschnittene Sülzwurst. »Einer von den Kriminalen hat’s ausgeplaudert. Mona war in der neunten Woche.«
Tilde schlug entsetzt die Hand an den Mund.
Fred bestrich das Körnerbrot mit Butter und belegte es.
»In der neunten Woche«, wiederholte er. »Der Heiner soll total ausgerastet sein – kann man ja verstehen, also ich kann das nur zu gut verstehen. Gerade mal siebzehn, die Kleine, und schon schwanger.«
Tilde starrte ihn immer noch aus weit aufgerissenen Augen an.
Ihr Bruder nickte bekräftigend. Er zerschnitt das belegte Brot in mundgerechte Happen und begann, sie bedächtig zu verzehren.
»Nein«, brachte Tilde schließlich heraus. »Das ist … ich meine, es war doch nie von irgendeinem Freund die Rede. Oder hast du …?«
»Was …?«
»Du hast sie doch morgens oft an der Schule abgesetzt. Hat sie da nie was erzählt?«
»Tilde«, sagte Fred und bedachte sie mit einem nachsichtigen Blick. »Schwesterherz – was soll sie schon groß gesagt haben? Wir sind mit ihren Eltern per Du, wir sind ihre Nachbarn. Glaubst du im Ernst, da spricht sie mit einem von uns über irgendwelche Intimitäten? Nee, nee, und wenn das dem Heiner zu Ohren gekommen wäre, bei seiner Affenliebe zu ihr …«
Von draußen war Olivers Range Rover zu hören. Fritsche fuhr vor und betrat wenig später die Küche. Fred hob grüßend die Hand. Tilde reagierte nicht auf ihn.
»Macht euch keine Umstände«, sagte Fritsche in die Runde. Er bemerkte seinen Humpen auf dem Tisch, zuckte die Achseln und nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank. »Ihr werdet mich ohnehin die nächsten Tage kaum zu Gesicht bekommen. Ich hab noch eine Menge mit der Präsentation für die Jubiläumsfeier zu tun, harte Arbeit.« Er betrachte das Etikett der Bierflasche und schnippte entschlossen mit den Fingern.
Kommst du mal nicht gleich vom Fleck, gönn dir fix ein Isenbeck!
Es war zwei Tage nach Weihnachten und es war kurz vor Mitternacht, als Fritsche eine in seinem Verständnis geniale Passage für die Diashow konzipiert hatte. Ödes Ackerland, überblendet vom Grundriss einer antiken Therme.
Die Solequellen. Ines hält das ovale Metallstück hoch. Die Inschrift, in freier Übersetzung aus dem Lateinischen: Du kommst als Fremder und gehst als Freund. Das sich öffnende Stadttor. Dampfbad. Schemenhafte Gestalten. Massierende Hände, schlanke Frauenhände. Entspannt auf steinernen Bänken liegende Männer, nur ein schmales Tuch über den Lenden: »Trotz allem Zwist und Hader zwischen dem weltlichen westfälischen Adel und dem Erzbischof von Köln war im heimischen Hammona Zeit und Raum für Sinnesfreuden.« Harter Schnitt. Die Garde der grün-weißen Karnevalisten auf dem Marsch zur Schützenhalle: »Und das kennzeichnet bis heute unsere Stadt – der Spaß am Leben, an Lust und Genuss.« Überblende: Ines am Fenstertisch im Denkma(h)l, vor sich auf dem Teller dicke Bohnen mit Bauchfleisch, deftige westfälische Kost
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